Jahrestagung 2023 - Mystik in Schlesien
Im Erbacher Hof in Mainz wandte sich am 25./26. Februar 2023 eine erstmals gemeinsame Jahrestagung der Gemeinschaft evangelischer Schlesier (Hilfskomitee) e. V. und des Heimatwerks Schlesischer Katholiken e. V. dem ebenso reizvollen wie verbindenden Thema der Mystik im heimatlichen Raum zu.
Dr. Bernhard Jungnitz, Vorstandsvorsitzender des Heimatwerks, begrüßte Referenten und Teilnehmer und zeigte sich zufrieden mit dem vollen, konfessionell gemischten Saal. Generalsuperintendent i. R. Martin Herche aus Görlitz hielt nach einem Rückblick auf die Entstehung der Organisationen auf evangelischer und katholischer Seite fest, dass es seit langem eine Zusammenarbeit zwischen beiden gebe und die Premiere einer gemeinsamen Tagung die Fortsetzung eines gemeinsamen Weges sei.
Prof. Dr. Rainer Bendel, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft katholischer Vertriebenenorganisationen (AKVO) in Stuttgart, hatte die Tagung zusammen mit dem Heimatwerk organisiert, führte ins Thema ein und moderierte. Der gemeinsame Weg der Konfessionen solle nicht nur mit einem allerseits geschätzten Thema, sondern auch methodisch durch die Mitarbeit der Teilnehmer neu starten. Diese erhielten deshalb Texte von drei verschiedenen Autoren ausgeteilt – eine an Dominikanermönche und -nonnen gerichtete Predigt über die Armut im Geiste von Meister Eckhart, ein Lied über die „Heilige Seelenlust“ sowie „Geistreiche Sinn- und Schlussreime“ von Angelus Silesius (Johannes Scheffler) sowie ein meditatives Selbstgespräch von Martin Moller über die Passion Christi – und sollten sich nach stiller Lektüre dazu äußern, was einen mystischen Text charakterisiert.
Bendel lobte die qualifizierten Beiträge, die kamen, und erläuterte mit dem geschulten Blick des Theologiehistorikers die Radikalität Eckharts. Bei seiner stark theozentrischen Mystik werde ein Zustand vor der Schöpfung unter Aufhebung der Raum-Zeit-Verfasstheit angestrebt. Alles Kategoriale und Geschöpfliche müsse dabei transzendiert werden. Mit Gott eins werden sei das Ziel der Armut, eine Letztvollkommenheit, die nur augenblicklich und individuell erreicht werden könne. Es gehe um höchst dramatische und gefährliche Paradoxien, wenn der Mystiker sich selbst und zugleich Gott aufzugeben trachte. Die verfasste Kirche hielt die Grenze zur Blasphemie für überschritten, Eckhart kam ins Visier der Inquisition und sollte sich vor dem Papst in Avignon verantworten. Die Bedeutung des Einzelnen wurzle, so Bendel resümierend, entgegen dem Bild vom finsteren Mittelalter in der Mystik.
Pfarrer Dr. Matthias Paul aus Görlitz übernahm die Moderation der Beiträge aus dem Publikum nach der Lektüre der Texte von Silesius und Moller. In der mittelalterlichen Mystik, führte er aus, gab es zwei wesentliche Richtungen, die eine auf Gott konzentriert, die andere auf den Heiland. Ihre Traditionen gehen bis aufs Neue Testament zurück mit seinen koexistierenden johanneischen und paulinischen Bildern. Zu den bedeutendsten schlesischen Mystikern, die ein neues, von der Tradition der gesamten vom Neuplatonismus ausgehenden Mystik deutlich abweichendes Denkmodell entwarfen, zählen vor allem Jacob Böhme, Angelus Silesius und Daniel Czepko. Bei Silesius gehe es nicht nur um die Menschwerdung Gottes, sondern auch um die Gottwerdung des Menschen. Mit seiner Kennzeichnung der Gottheit als ein Nichts, ein Über-Nichts und ein Un-Grund sei er von Eckhart und Böhme inspiriert und reiche aus Kirchensicht an die Grenze des Tolerierbaren. Silesius habe trotz seines europaweit Furore machenden Konvertierens zum Katholizismus wohl keine von beiden Kirchen als die allein richtige angesehen. Martin Moller, der um 1600 Pfarrer in Görlitz war, habe mit seinen Texten zeigen wollen, wie man sich durch Gebet und Meditation die Schrift aneignen, das eigene Glaubensleben vertiefen und sich am Beispiel Jesu stärken und trösten kann. Eine wichtige Rolle als Verbindungsglied der schlesischen Mystiker untereinander spielte Abraham von Franckenberg. Er war ein großer Vermittler des Lebens und Werkes von Jakob Böhme, dem Görlitzer Schuster, und pflegte eine Frömmigkeit, die ganz von diesem geprägt war. Mystische Texte, erläuterte Paul, seien in großem Umfang zugleich Gebetstexte. Ein wichtiger Aspekt an der Mystik sei ihr Widerstand gegen Borniertheit und machtbesessene Ideologien. Von Bedeutung sei sie auch heute noch. Der für seine „Begründungsfreie Rationalität“ bekannte Theologe Karl Rahner sagte sogar: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein … oder er wird nicht mehr sein.“
Nach Lektüre, Diskussionsbeiträgen und Kommentaren hielt den ersten Vortrag im eigentlichen Sinne Prof. Dr. Martin Rothkegel, der an der evangelischen Hochschule Elstal Kirchengeschichte unterrichtet. Er beschäftigte sich mit den schlesischen Theologen, Humanisten und Reformatoren Kaspar Schwenckfeld (1490 – 1561) und dessen theologischem Ideengeber Valentin Krautwald (1465 – 1545) sowie der von Herzog Friedrich gegründeten und von 1526 bis 1530 bestehenden ersten evangelischen Universität und einzigen Hochschule Schlesiens in Liegnitz. Schwenckfelds Botschaft beruhe auf dem Prinzip, dass nichts Äußerliches, Materielles oder Kreatürliches dem Menschen das Heil vermitteln kann. Das Schwenkfeldertum sei aber keine Mystik, sondern eine bibelorientierte, christozentrische Frömmigkeit. Am Anfang des eigenständigen theologischen Denkens von Schwenckfeld und Krautwald stand der Gedanke, dass die Sakramente keine wirksamen Gnadenmittel sein können. Daraus entstand ein theologisches System, das den Ursprung des Heils allein auf die Person Christi, den inkarnierten Logos, die Erlösung allein auf die Gnade und die Grundlage religiöser Erkenntnis allein auf die Schrift zurückführte. Obwohl in diesem System die typischen mystischen Begriffe und Konzepte fehlen und ein direkter Zusammenhang mit der Mystik nur über die Kirchenväter vorliegt, fallen doch, so Rothkegel, einige strukturelle Analogien zwischen der Lehre Schwenckfelds und der Mystik sofort ins Auge: einerseits die Vorstellung von einem innerlich-geistigen Weg zum Heil, der keiner äußerlichen Vermittlung durch Sakramente, Priester oder Kirche bedarf, andererseits die Vorstellung von einem Prozess der Heilszueignung, ein lernender Aufstieg und eine sittliche Verbesserung in Stufen oder allmähliche Vergottung des Menschen.
Rothkegel nannte die anfängliche Haltung der Schwenckfeld-Anhänger nonkonfrontativen Nonkonformismus. Doch mit der Ausarbeitung einer spekulativen, die menschliche Natur Jesu leugnenden, nur seine Glorie bekennenden Christologie wurde Schwenckfeld in den Augen der Kirche vollends zum Häretiker. Durch die Verfolgungen der Gegenreformation unter den Habsburgern wichen die Schwenckfelder in den südwestdeutschen Raum aus oder emigrierten in die Religionsfreiheit Pennsylvaniens, wo es bis heute eine Schwenckfelder Church mit Bibliothek, Museum und Kulturzentrum gibt. Die Erbauungsschriften und Briefe Schwenckfelds, der taub war und völlig zurückgezogen lebte, kursierten im klandestinen Netzwerk seiner Anhänger noch etwa eine Generation nach seinem Tod weiter und füllen in der zwischen 1907 und 1961 veranstalteten amerikanischen Ausgabe 19 starke Foliobände. Dagegen gibt es von seinem älteren und ungleich gebildeteren Mentor und theologischen Inspirator, dem Neißer Kanonikus Valentin Krautwald, einem der besten Kenner des Griechischen und der Kirchenväter im damaligen Schlesien, nur Vorlesungsmitschriften seiner Schüler. Nach seinem Bekehrungserlebnis verbrannte er alle seine Schriften und lehrte als Theologieprofessor an der Universität Liegnitz. Insgesamt können, so Rothkegel, Krautwalds Bibel-Auslegungen als die gelehrtesten und umfangreichsten der frühen radikalen Reformation gelten. In Schwenckfeldischen Kreisen kursierten sie bis ins frühe 17. Jahrhundert. Der erste Band einer dreibändigen wissenschaftlichen Edition der Vorlesungen Krautwalds erschien 2022 als Supplement zum Corpus Schwenckfeldianorum, herausgegeben von Rothkegel selbst.
Da Prof. Dr. Jan Harasimowicz aus Breslau mit einem Vortrag über mystische Implikationen im Werk des Barockmalers Michael Willmanns (1640 – 1706) krankheitshalber ausfiel, sprang spontan Dr. Bernhard Jungnitz ein, indem er Eindrücke von Wandertagen in Schlesien im September 2022 schilderte, mit Fotos illustrierte und mit historischen Exkursen ausbaute. Seit 2016 bietet das Heimatwerk an, sich an solchen Wandertagen zu beteiligen, nicht zuletzt um Begegnungen auch mit deutschen und polnischen Bewohnern Schlesiens zu ermöglichen. Stationen waren im vorigen Jahr Bad Warmbrunn und Bad Salzbrunn, Görbersdorf im Waldenburger Bergland, Schreiberhau sowie ein Ausflug nach Breslau mit Stadtbesichtigung von der Oder aus.
Über seinen Görlitzer Landsmann und Bürgermeister, Mathematiker, Kartograph und Astronom Bartholomäus Scultetus (1540 – 1614) referierte Dr. Matthias Paul. Er zeichnete zunächst dessen Leben nach und umriss die unübersichtliche politische Lage der damals zu Böhmen gehörenden Oberlausitz. Erst 2018 sei Scultetus durch einen über ihn publizierten Aufsatz ein Platz in der Kirchengeschichtsschreibung zugewiesen worden. Entsprechend schwierig gestaltete sich für den Referenten die Einordnung dieser Gestalt in das, was unter Mystik verstanden werden kann. Er versuchte den Wanderer zwischen den Welten von mehreren Seiten zu fassen, von seinem Studium in Wittenberg, wo er dem alten Melanchton, und in Leipzig, wo er Pfr. Johann Hummel und Tycho Brahe begegnete. Scultetus war Görlitzer Stadtrat, Bürgermeister und Kirchenverwalter, führte den gregorianischen Kalender ein, fertigte Horoskope an, baute astronomische Instrumente, pflegte Kontakte zu Anhängern des Paracelsus und Schwenckfelds sowie zu jüdischen Gelehrten, war in seiner Gottesvorstellung aber doch erstaunlich konservativ, lutherisch und kirchlich. Wenngleich kein Theologe, veröffentlichte er 1600 ein Buch, das sich auf 500 Seiten akribisch genau mit dem Leben Jesu von seiner Geburt bis zu seiner Himmelfahrt befasst und dem Leser so klar vor Augen stellt, als wäre er stündlich dabei. Solch ein Werk war für Scultetus notwendig, hatte doch die Gelehrtheit der Juden sie blind gemacht für das entscheidend Neue. Textkritik, astronomische, geografische und geschichtliche Bestimmungen verhalfen dem Verfasser zu so minuziöser Darstellung. Sie soll Hilfsmittel sein zu vertiefendem Schriftstudium und Verfeinerung der Glaubenspraxis. In diesem Werk geht der Autor auch auf Ignatius von Antiochien und Dionysios Areopagita ein, besonders letzterer bedeutend für die Geschichte der Mystik. Es liege auch nahe, beschloss Dr. Matthias Paul seinen Vortrag, dass Scultetus über seinen Görlitzer Landsmann Martin Moller Kenntnisse über mystische Traditionen erhielt.
Hans-Wilhelm Pietz aus Görlitz, evangelischer Theologe, Pfarrer, ehemaliger Dozent und Regionalbischof sowie Vorsitzender des Vereins für schlesische Kirchengeschichte, befasste sich mit dem Thema „Schlesische Mystik im Werk Hermann Stehrs (1864 – 1940) – ein kritische Relektüre“. Der Name Hermann Stehr, seine Lebensgeschichte und sein literarisches Werk seien heute weithin unbekannt. Vor allem seien es der Gebrauch, den die nationalsozialistische Literaturpolitik von seinen Worten und seinem Verhalten machte, und die von Stehr teils geduldete, teils noch beförderte Vereinnahmung seiner Gedanken- und Sprachwelt durch die NS-Ideologie, die eine Stehr-Rezeption nach dem Ende des 2. Weltkriegs weitgehend abbrechen ließ. Nur an wenigen Orten, wie dem Hermann-Stehr-Archiv in Wangen im Allgäu, wurde sein Beitrag zur deutschen Literatur- und Geistesgeschichte noch erforscht und präsent gehalten. Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es eine rege Stehr-Forschung vor allem in Polen. Viel gelesen wurden Stehrs Romane, Erzählungen und Gedichte am Beginn des 20. Jahrhunderts und in der Zwischenkriegszeit. Vor hundert Jahren war sein Name ein Inbegriff für wesentliche Aspekte und Gestalten schlesischer Mystik. Stehr wusste zu rühmen, dass der Mensch gerade in den Tönen und Bewegungen der Zeit der Ewigkeit teilhaftig ist. Die Schau des Jenseits im Diesseits, der Zusammenklang der Wirklichkeit mit Gott war sein Thema. Martin Buber würdigte ihn als echten Mystiker und zugleich echten Erzähler und bekannte, er wisse keinen andern, in keiner Literatur, von dem das gälte. Stehr erzähle das Zeitlose. Der Referent warf einen Blick auf Stehrs Lebenslauf, inklusive problematischer Aspekte seiner Persönlichkeit, bis hin zu seinem Nachruhm als „Dichter der Deutschen“, bevor er auf die zentrale Perspektive seines Dichtens einging: zu sich selber kommen als Weg zum wahren Leben und zu Gott. Ferner beleuchtete Pietz einige der Türen zur Erfüllung in Stehrs Werk: das Kind, das Lied, das Licht, der Weise und die Andacht respektive der Kunst als Andachtshilfe. In einem kritischen letzten Kapitel zeigte er die Problematik der Mystik Hermann Stehrs auf. Der Mut zum Sein und gegen die Entfremdung sei eine Vorwegnahme existenzialistischer Ansätze. Diese mystische Frömmigkeit komme ohne Gott als gnädig und streng begrenzendes Gegenüber aus und unterliege der Gefahr, den Menschen zu verabsolutieren. Die Endlichkeit des Menschen könne gegenüber seiner Entgrenzung jedoch auch als Wohltat begriffen werden. Dass Mystik neben einer Befähigung zum Widerstand auch ihre Abgründe der Gefährdung und Verführbarkeit hat, ist bei Hermann Stehr exemplarisch zu erfahren.
Stefan P. Teppert
Wo man gesund wird – schlesische Bäder! Thema der Wandertage in Schlesien 2022, die ihren Ausgangs- und Endpunkt im Kreis Neumarkt hatten.
Inzwischen haben die „Wandertage in Schlesien“ des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V. schon eine gewisse Tradition. Waren die Wandertage 2022 doch bereits die siebten ihrer Art und fanden mehr Zuspruch denn je! Im Zentrum dieser Wandertage – fast durchgehend Ausflüge mit dem Auto – standen die bekannten Badeorte Salzbrunn (Szczawno Zdrój) im Waldenburger Bergland und Warmbrunn (Cieplice Śląskie-Zdrój) im Hirschberger Tal. Durchschnittlich elf Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und Polen/ Schlesien hatte sich auf den Weg gemacht – neben den genannten Badeorten, lediglich eine bescheidene Auswahl aus der Fülle schlesischer Bäder, waren die ehemalige Lungenheilstätte Görbersdorf (Sokołosko), ca. fünfzehn Kilometer südlich von Waldenburg (Wałbrzych), Breslau (Wrocław), der Zobtenberg (Ślęża oder Sobótka) und zum Abschluss Nieder-Mois (Ujazd Dolny) im Kreis Neumarkt angesteuerte Ziele.
Ausgehend von dem Ferienhaus in dem kleinen Bauerndorf Nieder-Mois, in dem die sechs Wandersleute aus Deutschland vom 12. bis 17. September 2022 ihre Bleibe hatten, ging es am 13. September vorbei an Striegau (Strzegom) und durch Freiburg (Świebodzice) Richtung Waldenburg, wo bereits seit dem Jahre 1366 bis gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts Steinkohle abgebaut worden war. Etwa fünf Kilometer vor Waldenburg liegt im Tal des Salzbaches der Ort Bad Salzbrunn, der im Jahre 1937 zum preußischen Staatsbad erhoben worden ist und erst in polnischer Zeit Stadtrechte erhielt.
Schon vor vielen Jahrhunderten, als in Schlesien noch die Vandalen zu Hause waren, also vor ca. 1600 Jahren, zogen mineralienreiche und als heilkräftig erkannte Quellen die Menschen an. Im Jahre 1221 wird Bad Salzbrunn als „Salzborn“ erstmals urkundlich erwähnt. Seit dem Hochmittelalter ist Salzbrunn mit dem nicht weit entfernt gelegenen Schloss Fürstenstein (Zamek Książ) verbunden, das von 1509 bis in die 1930er Jahre der Familie von Hochberg gehörte. Die Familie von Hochberg war es, die seit dem Jahre 1816 den Ausbau Salzbrunns zu einem Bad betrieben hatte. 1816 wurde eine Kurverwaltung gegründet, 1830 die großzügige, in Holz gearbeitete Wandel- oder Elisenhalle mit angebauter Trinkhalle – 1992 nach einem Brand originalgetreu in klassizistischem Stil wiederhergestellt – erbaut. Im 19. Jahrhundert entstanden auch der Kurpark, Pensionen, Gasthöfe und Hotels sowie ein Kurtheater, 1910 wurde das heute noch sehr repräsentative „Grand Hotel“, auch als „Schlesischer Hof“ bekannt, errichtet. Zu den Gasthöfen, die im 19. Jahrhundert zur Unterbringung der Kurgäste errichtet worden waren, zählt auch das ehemalige Hotel „Zur Preußischen Krone“.
Dieses wurde Mitte des 19. Jahrhunderts wenig erfolgreich von Robert und Marie Hauptmann geführt. Sie sind die Eltern u. a. von dem bekannten Schriftsteller Carl Hauptmann (1858-1921) und seinem weltbekann-ten Bruder Gerhart Hauptmann (1862-1946), der ob seiner herausragenden literarischen Tätigkeit im Jahre 1912 mit dem Literaturnobelpreis geehrt worden war. An dem ehemaligen Hotel „Zur Preußischen Krone“, in dem die Brüder Hauptmann das Licht der Welt erblickt hatten und das bei unserem Besuch leer und verschlossen stand sowie einen heruntergekommenen Eindruck machte, weist eine schlichte Gedenktafel auf Gerhart Hauptmann hin.
In Bad Salzbrunn trafen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Breslau, angeführt von Pater Marian Bernard Arndt OFM, und aus Nieder-Mois aufeinander. Ein Spaziergang durch den Kurpark, durch die Wandel- und durch die angrenzende Trinkhalle, wo die verschiedenen, mehr oder weniger mineralienreichen Heilwässer verkostet wurden (die Bad Salzbrunner Heilwässer sind geeignet bei Erkrankungen der Atemwege, des Magen-Darm-Traktes und der Harnorgane/ -wege), mündete in einem wohltuenden Besuch eines Cafés. Im 19. Jahrhundert waren Badekuren in aller Regel auf die Zeit vom Frühjahr bis zum Herbst beschränkt und auch durchgehend eine Angelegenheit von Begüterten und Adeligen. So auch in Bad Salzbrunn, wo insbesondere Angehörige des russisch-polnischen Adels sowie Mitglieder der preußischen Königsfamilie kurten, z. B. Zar Nikolaus I. (1796-1855) und Zarin Aleksandra Feodorowna (1872-1918) oder Schriftsteller wie Iwan Turgieniew (1818-1883), Wissarion Bieliński (1811-1848), Karl May (1842-1912) und Ludwik Zamenhof (1859-1917), Erfinder des Esperantos.
Im Anschluss an Bad Salzbrunn wurde der kleine, abgelegene Ort Görbersdorf aufgesucht. In der Abgeschiedenheit des südlichen Waldenburger Berglandes, in sehr waldreicher Umgebung, betrieb seit dem Jahre 1854 der Arzt Dr. med. Hermann Brehmer (1826-1889) sehr erfolgreich eine Lungenheilstätte. Denn schon in seiner im Jahre 1853 veröffentlichten Dissertation „Über die Gesetze der Entstehung und des Fortschreitens der Tuberkulose der Lunge“ stellte er die These auf, dass Lungentuberkulose im Frühstadium heilbar sei. Ohne die konkrete Ursache der Tuberkulose zu kennen – Robert Koch (1842-1910) entdeckte den Erreger der Tuberkulose erst im Jahre 1882 – , verfolgte Brehmer den richtigen Therapieansatz: Viel Bewegung in der frischen, gesunden Luft des waldreichen Waldenburger Berglandes in Verbindung mit einer guten Ernährung. Nachts musste bei offenem Fenster geschlafen werden, damit die Patienten auch zu nächtlicher Zeit die frische Waldluft atmen konnten. Wirtshausbesuche und andere Lustbarkeiten an Orten, wo es keine gesunde Luft gab, waren verboten. Mit diesem praktizierten Therapiekonzept darf Brehmer als Pionier der Therapie der Lungentuberkulose, auch Lungenschwindsucht genannt, gelten. Seine Behandlungsmethode war derart erfolgreich, dass das vorbestehende Sanatorium im Jahre 1877 durch einen monumentalen Neubau ersetzt werden musste. Die nach wie vor beeindruckenden Überreste dieses Gebäudes konnten in Augenschein genommen werden (um die Wende von 20. zum 21. Jahrhundert beschädigte ein Brand das ehemalige Sanatorium) und hinterließen doch einen etwas „unheimlichen“ Eindruck. Assoziationen zu dem Roman von Thomas Mann (1875-1955) „Der Zauberberg“, entstanden in der Zeit von 1913 bis 1924, drängten sich auf.
Mit Kaffee und Kuchen sowie später mit Salat und Wurst vom Grill klang der erste Wandertag auf der Veranda des Nieder-Moiser Ferienhauses aus.
Der zweite Wandertag, am Mittwoch, 14. September, führte vier der sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland auf den Zobtenberg, dessen 718 Meter hohe Kuppe von dem Städtchen Zobten am Berge (Sobótka) aus erwandert wurde. Leider wurde der 2 ½stündige Aufstieg und der fast ebenso lange dauernde Abstieg nicht durch eine wunderbare Fernsicht belohnt – das Wetter war zu diesig! Die anderen zwei Teilnehmer aus Deutschland, ein älteres Ehepaar, wollte sich den Zobtenberg nicht zumuten. Sie unternahmen an diesem Tag einen Ausflug in die Kreisstadt Neumarkt (Środa Śląska), die mit ca. 9.000 Einwohnern eher die Bezeichnung „Städtchen“ verdient hat und die nach der Zerstörung durch die Mongolen im Jahre 1241 schachbrettartig – mit Ring und Rathaus in der Mitte – wiederaufgebaut worden war und von einer noch heute in Teilen erhaltenen Stadtmauer umgeben ist.
Am Donnerstag trafen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und aus Polen, wiederum elf an der Zahl, in Breslau erneut aufeinander. Neben einem Gang durch Breslaus Altstadt u. a. über den Ring und vorbei an Rathaus, Elisabethkirche und Universität, ging es zur Sandinsel mit dem imposanten Bau der Kirche Maria auf dem Sande mit angrenzendem ehemaligen Augustinerchorherrenkloster, nach der Säkularisation im Jahre 1810 Universitätsbibliothek. Von der Sandinsel starten Touristenboote zu „Stadtführungen vom Wasser aus“. Unsere kleine elfköpfige Gruppe erlebte so eine völlig neue Perspektive auf die an der Oder liegenden Gebäudekomplexe Breslaus – sowohl Oder auf- als auch Oder abwärts. Der Besuch eines Cafés auf der Dominsel – mit Blick auf die Oder – schloss den Besuch in Breslau ab.
Am Freitag, 16. September, trafen sich die sechs Wandersleute aus Nieder-Mois und die fünf Wandersleute aus Breslau im Zentrum von Bad Warmbrunn, ein kleines Städtchen im Hirschberger Tal. Bad Warmbrunn darf als ähnlich populär wie Bad Salzbrunn bezeichnet werden. Die warmen, bis zu 90 ° Celsius heißen Quellen wurden bereits im Jahre 1288 entdeckt und zogen Heilung suchende Menschen an. Der Ausbau Bad Warmbrunns zu einem weit über Schlesien hinaus bekannten Thermalbad, dessen Wasser auch reich an bestimmten Mineralien und insbesondere an Kieselerde ist, ist eng mit der Familie der Grafen von Schaffgotsch verbunden. Ein herausragendes Ereignis in der Geschichte des Badeortes Warmbrunn war zweifellos der Besuch der polnischen Königin Maria Kazimiera (1641-1716) im Jahre 1687. Es wird berichtet, dass sie mit 100 Wagen und 1500 Personen Gefolge nach Warmbrunn kam und während der Zeit ihres Aufenthalts im gräflich Schaffgotschen Schloss wohnte. Auch andere namhafte Persönlichkeiten wie Casper David Friedrich (1774-1840), August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), Theodor Körner (1791-1813), Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein (1757-1831), Karl August von Hardenberg (1750-1822) und der spätere Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, John Quincy Adams (1767-1848) suchten Bad Warmbrunn auf.
Von Bad Warmbrunn aus ging es in das nicht weit entfernt gelegene, in mehrere Ortsteile zersiedelte Schreiberhau (Szklarska Poręba). In Mittelschreiberhau lebten in einem zuvor erworbenen Haus von 1891 an die Brüder Carl und Gerhart Hauptmann mit ihren Familien. In diesem Haus befindet sich heute das Museum „Carl und Gerhart Hauptmann Haus“. In ihm wird das Leben und Wirken der Hauptmann-Brüder und weiterer Künstler, insbesondere polnischer Künstler, die sich im Gefolge der Hauptmann-Brüder in Schreiberhau ansiedelten und eine Künstlerkolonie begründeten, aufgezeigt. Carl Hauptmann blieb bis zu seinem Tode im Jahre 1921 in dem Haus in Mittelschreiberhau (begraben wurde er auf dem evangelischen Friedhof in Niederschreiberhau; sein Grab erhielt im Jahre 2021 eine neue Grabplatte). Gerhart Hauptmann fühlte sich im Verlauf der Jahre zunehmend unwohler in Mittelschreiberhau – wohl auch bedingt durch schwierige eheliche Verhältnisse – und siedelt im Jahre 1901 in das neu erbaute „Haus Wiesenstein“ im nahe gelegenen Agnetendorf (Jagniątków) um.
Die "Wandersleute" E. Woletz und B. Jungnitz in Bad Warmbrunn
Photo: B. Jungnitz
Die "Wandersleute" A. Glinka, B. Szyszka, E. Ludwig und C. Knoppik in einem Cafe inn Bad Warmbrunn Photo: B. Jungnitz
Das Schaffgotsche Schloss in Bad Warmbrunn
Photo: B. Jungnitz
Das Hauptmann-Haus in Schreiberhau
Photo: B. Jungnitz
Grabdenkmal Carl Hauptmann‘ im Garten des Hauptmann-Hauses
Photo: B. Jungnitz
Leider blieb nach dem Besuch des Hauptmannhauses in Mittelschreiberhau keine Zeit mehr für einen Besuch des „Haus Wiesenstein“. Denn in Nieder-Mois sollte noch der Abschluss der Wandertage in Schlesien 2022 zelebriert werden. Auf der Veranda des dortigen Ferienhauses warteten zunächst – neben vier weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den Nachbardörfern Nieder-Mois‘ – Kaffee und Kuchen auf die Wandersleute. In der sich anschließenden Hl. Messe, zelebriert von Pater Marian Arndt OFM am lang ausgezogenen Verandatisch mit den vierzehn darum sitzenden Wandersleuten, kam in den Fürbitten, die spontan von den Wandersleuten vorgebracht worden sind, Freude und Dank über die bereichernden Erfahrungen und Begegnungen während der diesjährigen Wandertage zum Ausdruck. Nach der von allen als anrührend empfundenen Hl. Messe – wohl deswegen machte auch niemand ein Foto! – gab es dann ein abschließendes Abendessen.
Dr. Bernhard Jungnitz, Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.
VII. Kulturfestival der deutschen Minderheit Polens in der Breslauer Jahrhunderthalle
Corona und auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine haben den Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen mit Rafał Bartek an der Spitze nicht entmutigen können: Das VII. Kulturfestival der deutschen Minderheit in Polen fand, nachdem es im September 2021 noch wegen Corona abgesagt werden musste, nun am 10. September 2022 – vier Jahre nach dem VI. Kulturfestival – in der Breslauer Jahrhunderthalle statt! Und auch in diesem Jahr war das Heimatwerk Schlesischer Katholiken e.V. mit seinem Präsentationsstand und sechs Standbegleitern wieder beim Kulturfestival der deutschen Minderheit Polens vertreten.
Zur Eröffnung des VII. Kulturfestivals um 12:00 Uhr begrüßte Rafał Bartek die Schar der einige tausend Köpfe zählenden Besucher – die Jahrhunderthalle war nicht bis auf den letzten Platz gefüllt – aus allen Teilen Polens, in denen es eine deutsche Minderheit gibt, und aus der Bundesrepublik Deutschland, der Ukraine und anderen an Polen grenzenden Ländern. Und es wurden die Nationalhymnen Polens und Deutschlands sowie die Europahymne gesungen. In Barteks Eröffnungsrede und in fast allen nachfolgenden Grußworten – es sprachen als ranghöchster Vertreter der polnischen Regierung Błażej Poboży, Unterstaatssekretär im polnischen Ministerium des Innern und der Verwaltung, Natalie Pawlik, Beauftragte der deutschen Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Thomas Bagger, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Polen, Ryszard Galla, deutschstämmiger Abgeordneter im polnischen Parlament und Zuzanna Donath-Kasiura, Vizemarschallin des Marschallamtes der Woiwodschaft Oppeln – klangen die Sorgen wegen der diskriminierenden finanziellen Mittelkürzungen ausschließlich für den deutschsprachigen schulischen Unterricht für die deutsche Minderheit Polens an. Zugleich wurde der Hoffnung, dass die derzeitige Situation nicht von Dauer sein könne, Ausdruck verliehen. Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass in dem im Programmheft des Festivals abgedruckten Grußwort Andrzej Dudas, Präsident der Republik Polen und zusammen mit Frank-Walter Steinmeier, Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Schirmherr des VII. Kulturfestivals, ein anderer Tenor angeschlagen wird: „… Ich möchte dem Veranstalter, dem Verband der Deutschen Sozial-Kulturellen Gemeinschaften in Polen, meine Anerkennung und meinen Dank aussprechen. Indem Sie Ihren Wurzeln treu bleiben und Ihre eigenen Traditionen und Bräuche pflegen, leisten Sie einen kulturellen Beitrag zum Leben unseres Landes, und mit Ihrer täglichen Arbeit und Ihrem sozialen Engagement tragen Sie zur Entwicklung und zum Erfolg der polnischen Regionen bei, in denen die deutsche Minderheit die lokale Gemeinschaft mitgestaltet. …“. Der vom polnischen Staatspräsidenten gesehene Beitrag der deutschen Minderheit zur Entwicklung Polens wird von der aktuellen polnischen Politik nicht etwa honoriert, sondern durch Mittelkürzung für minderheitsbezogenen deutschsprachigen Unterricht bestraft. Welch eine Ungereimtheit in der polnischen Politik!
Während in dem Innern der Jahrhunderthalle im Weiteren ein buntes Programm mit Darbietungen von Chören, Tanzgruppen, Bands, Orchestern, Solisten und dem Stargast Stefan Mross bis in die späten Abendstunden ablief, gab es im 1. Stock der Jahrhunderthalle/ Kaisersaal kinder- und jugendspezifische Veranstaltungen, u. a. eine Talkshow „Junges Europa 2022 - Herausforderungen für die Zukunft“. In dem die Jahrhunderthalle umgebenden Wandelgang waren 40 Stände und Ausstellungen platziert, die den vielen Besuchern und Besucherinnen reichlich Nahrung für Körper und Geist boten. Darunter waren auch Stände von Organisationen aus der Bundesrepublik Deutschland, auch der Stand des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V..
Mit der Präsenz des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken beim VII. Kulturfestival der deutschen Minderheit in Polen verfolgt das Heimatwerk ein in seiner Satzung festgeschriebenes Ziel. Dort heißt es im § 2: „… Der Verein hat insbesondere die Aufgaben, … Kontakte zur katholischen Kirche Polens, insbesondere zur heutigen Erzdiözese Breslau und den neu errichteten schlesischen Diözesen für den dort verbliebenen Teil Schlesiens sowie zu den Gruppierungen der deutschen Minderheit in Schlesien zu suchen und zu pflegen; …“. Vor diesem Hintergrund hat das Heimatwerk Schlesischer Katholiken e.V. am 10. September 2022 in der Breslauer Jahrhunderthalle „Flagge“ gezeigt: Der Stand war u. a. mit der Fahne des Heimatwerkes – Fahne des alten Erzbistums Breslau – geschmückt und hatte das Leitthema „Schlesien als Brücke in einem christlichen Europa“ und die Unterthemen „Keine Vertreibungen“, „Religiöses und kulturelles Erbe“ und „Verständigung – Versöhnung“. Mit den zahlreichen Standbesuchern wurden teils intensive Gespräche geführt und es wurden verschiedene, über das Heimatwerk informierende Drucksachen in großer Zahl überreicht. Hochzufrieden, aber auch einigermaßen erschöpft, konnte das Standbetreuungsteam gegen 18:00 Uhr mit dem Abbau des Standes beginnen.
Vor der Eröffnung des VII. Kulturfestivals in der Jahrhunderthalle waren Kulturfestivalbesucher in nicht geringer Zahl zu einem ökumenischen Gottesdienst in der Breslauer Kirche „Maria auf dem Sand“ zusammengekommen, um zum Auftakt des Kulturfestivals den verbindenden Hl. Geist, Gottes Geist, in das „Tagesgepäck“ zu nehmen. Mitglieder des Standbereuungsteams des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V. nahmen an dem ökumenischen Gottesdienst, der ursprünglich in der Breslauer Kathedrale stattfinden sollte, teil. Und bereits am Vortag, am Freitag, 9. September 2022, hatte Martin Kremer, Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Breslau, aus Anlass des VII. Kulturfestivals der deutschen Minderheit in Polen zu einem Empfang eingeladen. An diesem Empfang nahm das Standbetreuungsteam des Heimatwerkes ebenfalls teil.
Dr. Bernhard Jungnitz, Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.
Am 11. Juni 2022 wurden im Breslauer Dom St. Johannes der Täufer im Rahmen einer Hl. Messe zehn Schwestern der Gemeinschaft der Schwestern von der hl. Elisabeth, die nach ihrem Ordenskleid auch „Graue Schwestern“ genannt werden und die u. a. in der schlesischen Kreisstadt Neumarkt ein Krankenhaus, das Elisabethstift, betrieben haben, selig gesprochen. Die Seligsprechung nahm im Namen von Papst Franziskus der Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen, Kardinal Marcello Semeraro, mittels Verlesens des entsprechenden päpstlichen Dekrets vor. Der Vorsitzende des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V., Dr. Bernhard Jungnitz, hatte Gelegen-heit, an dieser außergewöhnlichen Feier in der Breslauer Kathedrale teilzunehmen.
Seligsprechungen – passt dergleichen noch in unsere Zeit? Und was war geschehen, dass gleich zehn Schwestern selig gesprochen wurden? Im Begleitheft für die Feier der Seligsprechung finden sich unter der Überschrift „Zeit des Opfers“ dazu folgende Erläuterungen:
"Der II. Weltkrieg brachte viele materielle und psychische Zerstörungen mit sich. Unschuldige Menschen, die sich der nationalsozialistischen Besatzung widersetzten, haben gelitten. Viele Geistliche, Ordensangehörige und katholische Laien haben ihr Leben wegen ihres Glaubens an Gott und der Zugehörigkeit zur Kirche geopfert. Gegen Kriegsende und gleich nach dem Krieg hat sich die Situation in den Gebieten, die von der Roten Armee besetzt wurden, kaum verändert. Lang ist die Liste der Zeugen für Christus aus dieser Zeit: Priester, Ordensbrüder, Ordensschwestern und Laien wurden getötet, misshandelt und gedemütigt. Viele Mädchen, Frauen und Ordensschwestern wurden vergewaltigt, obwohl sie mutig Widerstand leisteten. Mit Gewalt und Schlägen wurden sie so zugerichtet, dass sie sich nicht mehr wehren konnten. Oft sollte ein Schuss aus dem Gewehr das Opfer für immer „zum Schweigen“ bringen.
Jahrelang durfte über ihre christliche Heldentat nicht gesprochen werden. Jetzt werden ihre Namen aus der Geschichte hervorgeholt, um dem heutigen Menschen standhafte Glaubenszeugen zu zeigen. Darunter befinden sich auch die Schwestern von der hl. Elisabeth, die mit ihrem Tod die Treue zur Berufung, zu Gott und zur Nächstenliebe bezeugt haben. Von diesen wurden zehn Schwestern ausgewählt. Sie vertreten alle Elisabethschwestern, die im Jahre 1945 in Schlesien getötet wurden."
Selig gesprochen wurden
1. Sr. Maria Paschalis (Magdalena Jahn), geb. 7. April 1916 in Neisse-Oberneuland (heute: Nysa), gest. 11. Mai 1945 in Zöptau (heute: Sobotin/ Tschechien);
2. Sr. Maria Edelburgis (Julie Kubitzki), geb. 9. Februar 1905 in Königlich Dombrowka/ später Eichendorf/Kreis Oppeln (heute: Dąbrówka), gest. 20. Februar 1945 in Sorau/ Provinz Brandenburg (heute: Żary/ Niederschlesien);
3. Sr. Maria Rosaria (Elfriede Schilling), geb. 5. Mai 1908 in Breslau (heute: Wrocław), gest. 23. Februar 1945 in Naumburg am Queis/ Kreis Bunzlau (heute: Nowogrodziec);
4. Sr. Maria Sabina (Anna Thienel), geb. 24. September 1909 in Riegersdorf/ Kreis Neustadt (heute: Rudziczka), gest. 1. März 1945 in Lauban (heute: Lubań);
5. Sr. Maria Melusia (Martha Rybka), geb. 11. Juli 1905 in Pawlau/ Kreis Ratibor (heute: Pawlow), gest. 24. März 1945 in Neisse (heute: Nysa);
6. Sr. Maria Sapientia (Lucia Heymann), geb. 19. April 1875 in Liebsdorf/ Kreis Deutsch-Krone (heute: Lubiesz bei Wałcz), gest.24. März 1945 in Neisse (heute: Nysa);
7. Sr. Maria Acutina (Helene Goldberg), geb. 6. Juli 1882 in Dluszek/ später Hartigswalde/ Kreis Neidenburg/ Ostpreußen (heute: Dłużek), gest. 2. Mai 1945 in Groß-Kreidel/ Kreis Wohlau (heute: Krzydlina Wielka);
8. Sr. Maria Adela (Klara Schramm), geb. 3. Juni1 1885 in Wiesau/ Kreis Glatz (heute: Łączna), gest. 25. Februar 1945 in Günthersdorf/ Kreis Bunzlau (heute: Godzieszów);
9. Sr. Maria Felicitas (Anna Ellmerer), geb. 12. Mai 1889 in Grafing/ Bayern; gest. 25. März 1945 in Neisse (heute: Nysa);
10. Sr. Maria Adelheidis (Hedwig Töpfer); geb. 13. September 1887 in Neisse (heute: Nysa), gest. 24. März 1945 in Neisse (heute: Nysa).
Alle Schwestern fanden den Tod bei der Verteidigung der eigenen Reinheit oder bei der Verteidigung der Reinheit anderer.
Einer Seligsprechung geht in aller Regel ein oftmals jahrzehntelanges Verfahren voraus: Sammeln und zusammen-stellen der Fakten; Prüfung der Fakten durch die lokale bischöfliche Behörde dahingehend, ob die Voraussetzungen für eine Seligsprechung gegeben sind; im positiven Falle Weiterleitung der Dokumente und Analysen an die zustän-dige Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen in Rom; erneute Prüfung durch die Kongregation; im positiven Falle päpstliche Entscheidung pro Seligsprechung; Akt der Seligsprechung vor Ort – im vorliegenden Fall also in Bres-lau.
Es ist davon auszugehen, dass mit dem Zusammenbruch des totalitären kommunistischen Systems in den Staaten, die den sogenannten Ostblock bildeten, die Zeit reif war, die Märtyrerinnen und Märtyrer des XX. Jahrhunderts, die dem nationalsozialistischen wie auch dem sich nahtlos anschließenden kommunistischen System zum Opfer gefallen waren, in Erinnerung zu rufen und vor dem Vergessen werden zu bewahren. Papst Johannes Paul II. (1920-2005) gab dazu bereits in seinem Apostolischen Schreiben „Tertio millennio adveniente“ vom 10. November 1994 folgende Anregung:
"In unserem Jahrhundert sind die Martyrer zurückgekehrt, häufig unbekannt gleichsam „unbekannte Soldaten“ der großen Sache Gottes. Soweit als möglich dürfen ihre Zeugnisse in der Kirche nicht verloren gehen. Wie beim Konsistorium empfohlen wurde, muß von den Ortskirchen alles unternommen werden, um durch das Anlegen der notwendigen Dokumentation nicht die Erinnerung zu verlieren an diejenigen, die das Martyrium erlitten haben."
In der Folgezeit sammelte und publizierte in Deutschland Helmut Moll für Deutschland die Lebens- und Leidens-geschichten dieser Blutzeugen (Helmut Moll: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, 2 Bände, Paderborn, München, Wien, Paris 1999). In dieser Zusammenstellung sind neben den Grauen Schwestern, die am 11. Juni 2022 in Breslau selig gesprochen worden sind, noch viele weitere Graue Schwestern, die das Martyrium erlitten, aufgeführt.
Im Jahre 2009 begannen in Breslau die Grauen Schwestern mit der Sammlung und Zusammenstellung der erforder-lichen Dokumente; 2011 nahm sich die Erzdiözese Breslau der Angelegenheit an und 2015 wurden alle Selig-sprechungsunterlagen an die zuständige Kongregation in Rom übergeben. Die dortige Prüfung kam am 19. Juni 2021 mit der Unterzeichnung des entsprechenden päpstlichen Dekrets zum Abschluss.
Was bei der Initiierung des Seligsprechungsprozesses für die zehn Grauen Schwestern und auch später – bei der Festlegung des Zeitpunkts für den letzten Akt des Verfahrens, nämlich den Akt der Seligsprechung vor Ort – nicht bekannt war, ist die Tatsache, dass 77 Jahre nach dem Martyrium der zehn Grauen Schwestern und vieler anderer, verübt von Soldaten der Roten Armee, die in mordender, vergewaltigender, raubender und plündernder Weise die Deutschen in Ost- und Mitteldeutschland von der nationalsozialistischen Herrschaft zu befreien suchten, dergleichen im Jahre 2022 erneut passiert und zwar in der Ukraine und wiederum verübt von Soldaten der Roten Armee, der Armee Russlands.
Die von Ruth Lipinski verfasste Zusammenstellung (Ruth Lipinski: Leben und Überleben 1945/46. Zeitzeugenberichte aus dem Kreis Neumarkt in Schlesien, Hameln 1996) der Ereignisse, die Anfang 1945 auch über den Kreis Neumarkt hereinbrachen, sprechen keine andere Sprache: Es gehörte damals, nicht anders als heute, zum Repertoire der „Befreier“, der Rotarmisten, die Befreiten zu drangsalieren, sie zu morden, zu vergewaltigen, auszurauben und auszuplündern. In Anlehnung an den Schriftsteller Erich Maria Remarque (1898-1970) drängt sich der Gedanke auf: Im Osten nichts Neues!
Abschließend sei noch erwähnt, dass sich die Feier der Seligsprechung der zehn Grauen Schwestern nicht nur auf die zweieinhalbstündige Hl. Messe, zelebriert in lateinischer, italienischer, polnischer, deutscher, ukrainischer und englischer Sprache und in die die Seligsprechung eingebettet war, beschränkte. Darüber hinaus fand am Tage der Seligsprechung in der Breslauer Jahrhunderthalle in den Abendstunden zur Ehre der neuen Seligen ein Konzert/ Sakro-Popfestival mit dem Titel „Wierne Miłości (Treu in der Liebe) statt, dass mit einer eucharistischen Andacht und Segen abschloss. Am Sonntag, 12. Juni 2022, gab es in der Breslauer Kathedrale eine Dankmesse für die Seligsprechung der zehn Grauen Schwestern unter Vorsitz des Breslauer Metropoliten Erzbischof Józef Kupny. Nachmittags hatten die Schwestern von der hl. Elisabeth – gleichsam zur Entspannung – zu einer Bootsfahrt auf der Oder eingeladen.
Dr. Bernhard Jungnitz, Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V. und stellvertr. Vorsitzender des Neumarkter Vereins e.V. Hameln
Vor mehr als 75 Jahren Vertreibung der Deutschen aus Ostdeutschland – was bleibt?
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war unser Kontinent Europa in Erstarrung und Blockbildung gefallen. Diese begannen sich 1989 und in den Jahren danach mit dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs zu lösen. Grenzen wurden durchlässig und kaum mehr wahrnehmbar. Handel von West nach Ost und von Ost nach West nahmen von Jahr zu Jahr immer mehr zu. Es lag die Annahme nahe, dass Europa nun tatsächlich eine dauerhafte friedliche Zukunft haben würde. Waren die gut vier Jahrzehnte nach dem Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa geprägt von dem stets gefährdeten Frieden in der Zeit des Kalten Krieges, so kam es nach 1989 in Mitteleuropa in zunächst friedlicher Weise zu einer Neugestaltung der Grenzen. Völker machten sich selbständig, bildeten eigene Staaten. An erster Stelle ist die Wiedervereinigung von West- und Mitteldeutschland (BRD und DDR) unter Verzicht auf Ostdeutschland zu nennen, dann die Wiedererstehung der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, der Ukraine und kaukasischen Staaten sowie die Trennung der Tschechen und Slowaken in jeweils eigene Staaten. Im Weiteren war es dann mit dem friedlichen Selbstständigmachen vorbei. Beim Zerfall des durch das Tito-Regime zusammengehaltenen Jugoslawien kam es zu von Serbien angestifteten Kriegen, Völkermorden und Vertreibungen. In Deutschland kamen in jenen Jahren Balkanflüchtlinge in großer Zahl an.
In diesem Prozess der Umgestaltung Mittelosteuropas sah sich Russland, das in der ehemaligen Sowjetunion – Siegermacht des Zweiten Weltkrieges – tonangebend und bestimmend war, als großer Verlierer und suchte das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen am Kaukasus folgte 2014 der Ukrainekonflikt mit der Besetzung von ukrainischem Staatsgebiet im Süden und Osten. Im Jahre 2022 wurde daraus ein heißer Krieg mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung. Millionen von Ukrainern verließen ihr Land, Hunderttausende kamen bisher nach Deutschland. Diese Situation – Kriegsflüchtlinge und Vertriebene aus Europa Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts in Europa – zwingen dazu, an die Millionen Deutsche zu denken, die 1945 und insbesondere 1946 und auch noch in den Jahren danach aus Ostdeutschland flohen oder vertrieben worden waren. Ist dieses Geschehen vergessen? Kann Vertreibung dann, wenn die Betroffenen – Millionen Deutsche aus Ostpreußen, Westpreußen, Danzig, Pommern, Ostbrandenburg und Schlesien – inzwischen weitgehend verstorben sind, einfach abgehakt und ad acta gelegt werden? Ist das, was der Vertreibung folgte, nämlich Ankunft und im Weitern Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen im Westen und in der Mitte Deutschlands, nicht bedenkenswert?
Menschen brauchen Orte, die ihnen helfen, vergangenes Geschehen, das intensiv erlebt worden ist und angerührt hat, nicht aus dem Blick zu verlieren. Zweifellos sind Flucht und Vertreibung – Verlust der Heimat – sowie Ankunft in völlig neuer Umgebung und Angewiesensein auf vollständige Hilfe anderer Erlebnisse der besonderen Art, die es Wert sind, auch über das Leben der Betroffenen hinaus in Erinnerung zu bleiben.
65 Jahre nach der Vertreibung Zehntausender Neumarkter aus der Stadt und den Dörfern des Kreises Neumarkt und deren Ankunft im Weserbergland und im Osnabrücker Land kam es in Hilter im Landkreis Osnabrück zur Errichtung eines solchen Gedenkortes. Von März bis Juni 1946 kamen in dem an der eingleisigen Bahnstrecke Bielefeld-Halle/ Westf. Osnabrück gelegenen Bahnhof Hilter mehrere Züge, bestehend aus jeweils 50 Güterwaggons und besetzt mit 1.500 Heimatvertriebenen an und endeten hier. Eine erste Unterkunft in der Fremde fanden die ca. 24.000 Vertriebenen in dem nahe des Bahnhofs gelegenen ehemaligen Kalkwerk Hilter, das zu jener Zeit nicht mehr für die Herstellung von Kalk genutzt wurde, sondern der Champignonzucht diente. Geschlafen wurde auf Stroh, das auf dem Betonboden des Kalkwerkes ausgebreitet war. Nach erfolgter Registrierung wurden die Vertriebenen in die Dörfer des Landkreises Osnabrück weitergeleitet. Schon seit Jahrzehnten ist das Kalkwerk verschwunden und hat einem Gewerbegebiet Platz gemacht. Geblieben ist der Bahnhof Hilter.
Hier kamen zum Gedenken an die Ankunft der aus Ostdeutschland im Jahre 1946 Vertriebenen am 2. April 2011, 65 Jahre danach, engagierte Mitglieder pommerscher und schlesischer Heimatvertriebenenvereine, u. a. Klaus Labude vom Neumarkter Verein e.V. Hameln, zusammen und beschlossen die Errichtung eines Gedenkstein wider das Vergessen. Der Stein, eingeweiht am 28. September 2013 und Garant für ein Bestehen dieses Gedenkortes über Generationen hinweg, trägt die Inschrift:
Bahnhof der Erinnerung
Hilter a.T.W.
1946
Endeten hier 16 Transporte mit je 1500 bis 1700 Vertriebenen und Flüchtlingen aus dem deutschen Osten, Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen und aus dem Sudetenland.
2. April 2011
Gedenktag: 65 Jahre danach
Ostdeutsche Heimatgemeinschaft im Osnabrücker Land
Heimatrecht ist Menschenrecht
Am 13. Mai 2022 nahm eine fünfköpfige Delegation des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V. mit Fahne an der Enthüllung und Segnung eines weiteren Gedenkortes in Form eines Lesepultes u. a. für ostdeutsche Heimatvertriebene, dessen Errichtung das Heimatwerk mit 200,- € unterstützt hatte, im Landgestüt Warendorf teil.
Eigentlich war dieser feierlich Akt für 2021, also genau 75 Jahre nach dem großen Vertreibungsgeschehen des Jahres 1946, vorgesehen. Die Coronapandemie verzögerte jedoch die Terminierung der Einweihung einige Male.
Der Gedenkort Landgestüt Warendorf, Luftlinie nicht viel mehr als 30 Kilometer südlich von Hilter gelegen, zieht den Kreis deutlich weiter und erinnert daran, dass die leeren und mit frischem Stroh ausgelegten Pferdeboxen in den Ställen des Landgestüts ab Kriegsende zunächst als Aufnahmelager für ca. 5.000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene dienten, die auf den Rücktransport in ihre Heimat warteten. Gegen Jahresende 1945 kamen hier dann über 21.000 aus dem Rheinland und Westfalen nach Mittel- und Ostdeutschland Evakuierte unter, die nun zurückkehren konnten. Von März bis Herbst 1946 trafen ca. 43.000 Vertriebene, vor allem aus Schlesien und insbesondere aus dem Kreis Reichenbach und der Grafschaft Glatz, hier ein.
Die im Jahre 2020 gestartete Initiative zur Errichtung des Gedenkortes Landgestüt Warendorf ging von dem Glatzer Großdechanten Prälat Franz Jung aus, der als achtjähriger Knabe mit seiner Familie 1946 aus der Grafschaft Glatz kommend hier eine erste Bleibe im Westen Deutschlands fand. Umgesetzt wurde das Projekt von den Heimatvertriebenenvereinen Grafschaft Glatz e.V. und dem Heimatbund Kreis Reichenbach. Die Enthüllung und Segnung des Lesepultes – platziert am Haupteingang zum Landgestüt – nahm Prälat Jung vor. Die sich anschließende Feierstunde im Mittelgang eines der Pferdeställe des Landgestüts war für nicht wenige der ca. 120 Teilnehmer – Angehörige der Erlebnisgeneration wie z. B. Franz Jung – sehr anrührend. Zentrales Element der musikalisch begleiteten Feierstunde nach den Grußworten des Gestütsleiters Dr. Felix Austermann, des Warendorfer Bürgermeister Peter Horstmann und des Vorsitzenden des Heimatbundes Kreis Reichenbach, Heinz Pieper, war der Festvortrag des Historikers Prof. Dr. Michael Hirschfeld (Mitglied des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.) mit dem Titel: Was war? – Was ist? – Was bleibt? Flucht und Vertreibung – von der Erlebnisgeneration zur Erinnerungskultur. Ergreifende Zeitzeugenbericht, Totengedenken und eine Kaffeetafel mit Mohn- und Streuselkuchen rundeten die Feierstunde ab.
Das in Bronze gearbeitete Lesepult, entworfen und gefertigt von dem Sendenhorster Künstler Basilius Kleinhans, hat den Namen „Erinnerung“ und auf seiner Oberfläche ist das Geschehen, das sich 1945/46 im Landgestüt Warendorf ereignete, wiedergegeben.
Was bleibt? Ist es nur die Erinnerung an das Deutsche betreffende und mit Deutschen in Verbindung stehende Vertreibungsgeschehen u. ä. vor mehr als 75 Jahren.? Darf mit diesen Gedenkorten in Warendorf und Hilter und auch anderwärts mehr verbunden werden als nur Erinnerung, z. B. Hoffnung, das derartige Gedenkorte starke Zeichen sind und mit dazu beitragen, dass Flucht und Vertreibung einmal zu einem Ende kommen? Wohl kaum! Das aktuelle Geschehen in der Ukraine lehrt etwas anderes. Flucht und Vertreibung hat es schon immer gegeben und scheinen – weltweit gesehen – auf einen neuen Höhepunkt zuzusteuern – in Europa, in Afrika, in Asien und auch in Amerika. Der Menschheit scheinen Flucht und Vertreibung in die Wiege gelegt worden zu sein. Denken wir an die Vertreibung aus dem Paradies!
Der Neumarkter Verein e.V. Hameln sollte gemeinsam mit seinen Freunden in Stadt und Kreis Neumarkt Überlegungen nähertreten, ob nicht dort, wo der Abtransport der Heimatvertriebenen aus dem Kreis Neumarkt im Jahre 1946 begann – nämlich am Bahnhof Neumarkt-Stephansdorf (heute: Środa Śląska) – eine entsprechende Gedenktafel angebracht werden kann. Denn gerade heute, da Millionen von Flüchtlingen aus der Ukraine nach Polen – auch nach Niederschlesien – kommen und auf- und angenommen werden, darf das Vertreibungsgeschehen vor 77 Jahren aus Schlesien wie aus ganz Ostdeutschland nicht aus dem Blick geraten!
Dr. Bernhard Jungnitz (stellvertr. Vorsitzender des Neumarkter Vereins e.V. Hameln und Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.)