Burgen und Schlösser in Schlesien - Thema der Wandertage 2023

 

Wie andere Regionen Deutschlands, so war auch Schlesien reich mit Burgen gesegnet. Ursprünglich dienten sie dem Landesherrn zur Sicherung seines Sprengels gegen äußere Feinde und für die verschiedensten Verwaltungsaufgaben innerhalb des Sprengels, z. B. als Dienstort/ Dienstwohnung des Burgvogts und seiner Ritter und Knechte, als Ort für die Entrichtung der Abgaben und Steuern und als Gerichtsort sowie zur Arretierung der Verurteilten. In späteren Jahrhunderten entwickelten sich diese Burgen nicht selten zu prunkvoll ausgebauten Wohnburgen, Wohnanlagen und Schlössern. Ergänzt wurde diese Entwicklung durch die Errichtung von herrschaftlichen Landsitzen, insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert, im Hirschberger Tal durch Adel und Großbürgertum.[1] Andere Burgen gerieten aus unterschiedlichen Gründen in Verfall und sind heute noch als Ruinen vorhanden oder aber ganz verschwunden.

 

Gerade die vielfältigen Teilungen Schlesiens in selbständige Fürstentümer und darunter die Entstehung von ausgedehnten Grundherrschaften machten den Burgenbau sowie späterhin den Umbau der Burgen zu komfortablen, repräsentativen und schlossähnlichen Herrensitzen geradezu notwendig. Heute sind sie oftmals touristische Attraktionen und ziehen Besucher in großer Zahl an.

 

So lag es nahe, als Leitthema und Zielorte für die Wandertage in Schlesien 2023 des Heimatwerkes Schlesischer Katho-liken ausgewählte schlesische Burgen und Schlösser ins Auge zu fassen. Nach den Wandertagen 2022 (Thema: Wo man gesund wird – schlesische Bäder) und den Wandertagen 2021 (Thema: Süßes Schlesien – Zucker und mehr!) sowie den Wandertagen 2020 (Thema: Auf den Spuren der Zisterzienser) sollte mit diesem Thema ein weiterer Aspekt Schlesiens den Wandersleuten (tatsächlich handelte es sich immer um Ausflüge per Auto!) nahegebracht werden. Neben diesem Aspekt der Wandertage war Begegnung mit in Schlesien lebenden deutschen und polnischen Schlesiern ein weiteres Anliegen dieser Wandertage.

 

 

Wie in den vergangenen Jahren auch, war das eher unbedeutende niederschlesische Bauerndorf Nieder-Mois/ Kreis Neumarkt (Ujazd Dolny/ Powiat Średzki) Ausgangs- und Endpunkt der 2023er Wandertage. In Nieder-Mois war der Zweig der Familie Jungnitz, dem der Verfasser dieser Zeilen entsprosst, über mehrere Jahrhunderte bis zur Vertreibung der deutschen Bevölkerung im Jahre 1946 ansässig. Mit einem neu errichteten Wohnhaus, das derzeit als Ferienhaus genutzt wird, ist die Familie Jungnitz seit dem Jahre 2000 in dem Dorf Nieder-Mois, in dem heute etwa 220 polnischstämmige Schlesier wohnen, wieder beheimatet.[2]

Ferienhaus in Nieder-Mois/ Kreis Neumarkt (Ujazd Dolny/ Powiat Średzki)

Photo B. Jungnitz

 

Nach dem 14. September 2023, Anreisetag der sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland, startete am nächsten Tag, ein Freitag, die erste Exkursion. Ziel dieses Tages war das am nordwestlichen Fuß des St. Annaberg-Massivs gelegene Örtchen Groß Stein (Kamień Śląski) mit heute ca. 1.500 Einwohnern. Geprägt wird das Dorf von einem – wieder – prachtvollen Barockschloss, dessen Wurzeln bis weit in das Mittelalter zurückreichen und das eine wechselvolle Geschichte aufzuweisen hat. Untrennbar mit Groß Stein und seinem Schloss ist der Hl. Hyazinth von Polen (polnisch: Św. Jacek Odrowąż) verbunden.

 

Das Schloss Groß Stein, um das sich nach und nach das gleichnamige Dorf entwickelte, war bereits im 11. Jahrh. als Rittersitz vorhanden. Im Jahre 1104 wird die Familie Odrowąż als Eigentümer genannt und blieb es über mehrere Jahrhunderte. Im Jahre 1660 kommt es in die Hand der Familie von Larisch und wird schon bald insbesondere durch Balcar von Larisch zu einem prachtvollen Wohnsitz, einem Landschloss ausgebaut, zu dem auch ein umfangreicher Schlosspark gehört. Im Jahre 1701 wird dem Schloss ein Seitenturm angefügt, in dessen Innern eine dem Hl. Hyazinth geweihte Kapelle sich befindet. 1799, nach dem Tode von Sophia von Larisch, wurde Familie von Strachwitz Schlosseigentümer und blieb es bis 1945. An den Schlosspark angrenzend hatte die Familie von Strachwitz einen Privatflugplatz. Diesen musste sie während des Zweiten Weltkrieges der Wehrmacht als Basis für den Luftkrieg überlassen, ebenso das Schloss zur Nutzung als Lazarett. Im Januar 1945 wurden Schloss, Park und Flugplatz von der Roten Armee eingenommen.

 

Nach Kriegsende war in dem Schloss zunächst ein Kinderheim, u. a. für polnische Waisenkinder aus dem Teil Polens, der heute zur Ukraine gehört, eingerichtet. Kurze Zeit später kam das Schloss erneut in die Hände der Roten Armee, die Schloss, Park und Flugplatz bis 1971 nutzte. Dabei geriet das Schloss mehr und mehr in Verfall und brannte zum Ende der Nutzung durch die Russen sogar aus. Derart ruinös, kam es 1990 durch Vermittlung der Wojewodschaft Oppeln aus der Hand der Gemeinde Groß Stein an die Diözese Oppeln. Nun setzte ein umfangreicher Wiederaufbau- und Restaurierungsprozess ein, der am Sonntag, 14. August 1994, – zum 400sten Jahrestag der Heiligsprechung Hyazinths – mit Einweihung der Anlage als Tagungszentrum und Wallfahrtsstätte zum Hl. Hyazinth zum Abschluss kam. Im Jahre 2005 wurde im Schlosspark, dem Schloss benachbart, eine moderne Kneipp-Rehabilitationsstätte eingerichtet, das Sebastianeum Silesiacum.[3]

 

Die zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer – sechs aus Deutschland und vier aus Polen – hatten zunächst eine Führung durch das Schloss Groß Stein. Von dem ruinösen Zustand, in dem es sich 1989 befand – festgehalten mittels Fotografien –, war nichts mehr zu bemerken. Zwar waren die originalen Ausstattungsstücke des Schlosses weitestgehend nicht mehr vorhanden, jedoch vermittelten die derzeitigen zusammengesuchten Einrichtungen der Zimmer und Säle eine Vorstellung davon, wie es im Schloss zur Zeit der Familie von Strachwitz ausgesehen haben mag. Im Anschluss daran hatte die Gruppe eine Andacht in der durchaus prunkvoll zu nennenden Schlosskapelle, Wallfahrtsstätte zum Hl. Hyazinth. Die Andacht wurde geleitet von Pfr. Siegfried Glaeser, Bruder des Prälaten Dr. Albert Glaeser, der Anfang der 90er Jahre das Wiedererstehen des Schlosses Groß Stein verantwortet hatte und die Einrichtung inkl. Sebastianeum Silesiacum bis auf den heutigen Tag leitet. Pfr. Glaeser stellte in seiner Ansprache das Leben und Wirken des Hl. Hyazinths vor, wies aber auch darauf hin, dass Schloss Groß Stein nicht nur Heimatort des Hl. Hyazinths sei, sondern auch des sel. Ceslaus von Breslau (polnisch: Czesław Odrowąż) und der sel. Bronislawa (polnisch: Bronisława), Mitglieder der im Schloss residierenden Familie Odrowąż und Zeitgenossen des Hl. Hyazinths.

Ebenso wie Hyazinth sind Ceslaus und Bronislawa im deutschen Sprachraum weniger bekannt, obgleich zumindest Hyazinth ein Heiliger von europäischem Rang ist und ein in Stein gehauenes Konterfei von ihm sich sogar auf den Kolonnaden des Petersplatzes in Rom befindet.[4] Insoweit war neben dem Kernthema „Burgen und Schlösser in Schlesien“ die Begegnung mit dem Hl. Hyazinth eine bereichernde Erfahrung für die Wandersleute!

 

Hyazinth von Polen/ Jacek Odrowąż wurde wahrscheinlich um das Jahr 1183 auf Groß Stein geboren, wo sein Vater Eustachius von Kątsky als Burggraf residierte. Seine Mutter ist Beate Koński. Nach Studien in Paris, Krakau, Prag und Bologna promovierte er in Kirchenrecht und Theologie und kehrte nach Polen zurück und erlangte die Domherrenwürde der Krakauer Wawel-Kathedrale. Im Jahre 1217 brach er mit mehreren Gefährten zu einer Romreise auf, begegnete dort dem Hl. Dominikus, Begründer des Dominikanerordens, und wurde 1220 in diesen Orden aufgenommen und mit Missionstätigkeit in seiner Heimat und darüber hinaus beauftragt. Auf der Rückreise von Rom nach Polen gründete er im Jahre 1221 in dem Ort Friesach in Kärnten das erste Dominikanerkloster im deutschen Sprachraum. Zurück in Krakau, konnte er 1222 daselbst an der Dreifaltigkeitskirche ein weiteres Dominikanerkloster gründen. Es folgten Missionsreisen in Polen und benachbarte Regionen und es kam zu zahlreichen Klostergründungen wie z. B. 1226 in Danzig. In diesem Jahr konnte aufgrund der starken Ausbreitung des Dominikanerordens in Polen bereits die Ordensprovinz Polonia gegründet werden und zwei Jahre später, 1228, wurde Hyazinth deren Provinzial.

Weitere Missionsreisen führten ihn danach in russische Lande bis nach Kiew und in das Baltikum bis nach Riga und Dorpat und hatten überall die Gründungen von Klöstern zur Folge. Im Jahre 1240 erhielt diese Aktivität durch den Heransturm nach Westen drängender mongolischer Reiterheere einen herben Rückschlag: Viele der erst kurz zuvor gegründeten Klöster fielen der Zerstörung anheim! [5] Am Wiederaufbau der zerstörten Klöster hatte Hyazinth Anteil. Später zog er sich nach Krakau zurück, wo er am 15. August 1257 starb. Begraben wurde er in Dreifaltigkeitskirche des Krakauer Dominikanerklosters. Sein Grab ist bis auf den heutigen Tag erhalten. Seine Verehrung als Heiliger setzte schon bald nach seinem Tode ein und hält bis auf den heutigen Tag an. Seine Heiligsprechung durch Papst Clemens VIII. erfolgte indes erst am 17. August 1594.

 

Die erhoffte Begegnung mit dem im Schloss Groß Stein wohnenden ehemaligen Bischof von Oppeln und Streiter für die deutsch-polnische Aussöhnung und Verständigung, Erzbischof Alfons Nossol, konnte wegen dessen gesundheitlicher Befindlichkeit – er steht inzwischen im 92sten Lebensjahr! – nicht zustande kommen. Zustande kam aber – ganz zufällig – im Sebastianeum Silesiacum, wo die Wandersleute Gelegenheit hatten, einen Mittagsimbiss einzu-nehmen, eine Begegnung mit Renate Zajączkowska. Sie, bereits im 93sten Lebensjahr stehend, absolvierte gerade eine längerdauernde Rehabilitationsmaßnahme im Sebastianeum Silesiacum. Bis 2019 war sie, aus Gleiwitz gebürtig und später in Breslau wohnend, über mehrere Jahre Vorsitzende des Deutschen Freundeskreises/ der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaft in Breslau, in der sie sich seit 1989 engagiert hatte.

 

Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland klang dieser begegnungsreiche Tag als gemütlicher Abend in Nieder-Mois mit Gegrilltem und Salat sowie passendem Getränk und später am Lagerfeuer mit einem Schoppen Wein ganz entspannt aus.

 

 

Der zweite Tag der „Wandertage in Schlesien 2023“ ließ die Wandersleute – sechs aus Deutschland und sieben aus Polen – zu Pilgern mutieren. Denn an diesem Sonnabend, 16. September 2023, fand die 27. Wallfahrt der Nationen zu Maria Hilf im Bergwald bei Zuck-mantel (Zlaté Hory) in Tschechien, gleich hinter der polnisch-tschechischen Grenze gelegen, nur wenige Kilometer südlich der oberschlesischen Stadt Ziegenhals (Głuchołazy). Die Tradition der Wallfahrten zu Maria Hilf geht bis in die Endzeit des Dreißigjährigen Krieges zurück. Seit 1996 wird an jedem dritten Sonnabend im September die Wallfahrt als Drei-Nationen-Wallfahrt durchgeführt – Tschechen, Polen und Deutsche.

 

 

Ende des Dreißigjährigen Krieges, 1647, drangen schwedische Soldaten bis in die Gegend von Ziegenhals und Zuckmantel vor und ließen die Bewohner in den Bergen Schutz suchen. Unter ihnen befand sich auch die hochschwangere Metzgersfrau Anna Tannheiser. Sie gebar am 18. Juli 1647 am Berg „Gottesgabe“ an einem durch Felsen und Bäume geschützten Ort einen gesunden Sohn. Dieser wuchs heran, wurde ebenfalls Metzger und angesehener Bürger und Ratsherr im oberschlesischen Neustadt (Prudnik), wo er 1714 starb. Auf sein Geheiß ließ seine Tochter Dorothea Weiss im Jahre 1718 ein Marienbildnis malen und es an einer Tanne am Geburtsort des Vaters, am Berg „Gottesgabe“, anbringen. 1719 hatte Samuel Richter, Schneider in Zuckmantel, an diesem Ort wundersame Visionen. Die Kunde davon verbreitete sich und alsbald kamen an dem Bild Gläubige zusammen.

Wallfahrt der Nationen nach Maria Hilf Zuckmantel 16. 09. 2023

Photo: H.Jungnitz

Auszug nach der Hl. Messe u.a. mit der Fahne des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken

Photo: H. Jungnitz

Später wurde eine Holzkapelle errichtet und es kam auch zu Heilungen, von denen fünf durch eine erzbischöfliche Kommission als Wunderheilungen anerkannt worden sind. Einer Anordnung auf Abriss der Kapelle des der Aufklärung anhängenden Kaisers Joseph II. (1741-1790) wurde vor Ort nicht nachgekommen und in den 30er Jahren des XIX. Jahrh. die hölzerne Kapelle durch ein steinernes Gebäude ersetzt. Erst Mitte des XX. Jahrh. kam das Wallfahrtsgeschehen zu Maria Hilf in Zuckmantel durch Verbot der nunmehr kommunistischen tschechoslowakischen Behörden mehr und mehr zum Erliegen. Schließlich, am 24. November 1973, wurde die Wallfahrtskirche gesprengt und dem Erdboden gleich gemacht. Die epochalen 1989er Veränderungen führten im Jahre 1993 zu einem Neubau der Wallfahrtskirche und zu deren Einweihung 1995.[6]

Die Wandersleute konnten Maria Hilf bei Zuckmantel als einen Ort des Lebens wahrnehmen. Vor ca. 375 Jahren kam hier in gefährlichen Zeiten Leben zur Welt und zur Entfaltung, Leben, das sich die Jahrhunderte hindurch trotz Verboten und Zerstörungen nicht abtöten ließ bis auf den heutigen Tag. Und so fanden sich die Wandersleute unter einer sicher mehr als tausendköpfigen Pilgerschar wieder, aus der deutsche, polnische, tschechische, slowakische und ukrainische Worte und Sätze herauszuhören waren. Durch das Programm, das wechselweise in deutscher, polnischer und tschechischer Sprache gebetet und gesungen wurde, führte Heimatwerksmitglied Pfr. Dr. Peter Tarliński, nach wie vor Seelsorger für die Deutschen im Bistum Oppeln ist. Ebenfalls anwesend und Konzelebrant beim Pilgeramt war auch der Seelsorger für die deutsche Minderheit im Erzbistum Breslau und in ganz Niederschlesien, Pater Marian Bernard Arndt OFM, der auch Mitglied unseres Heimatwerkes ist. Das Heimatwerk Schlesischer Katholiken war mit seiner Fahne, der Fahne des ehemaligen deutschen Erzbistums Breslau, für alle gut sichtbar vertreten. Neben der Heimatwerksfahne war auch eine Fahne der Landsmannschaft Oberschlesien aus Darmstadt zu sehen, die von mehreren Delegierten getragen und begleitet worden ist.

 

Auf der Rückfahrt von Zuckmantel nach Nieder-Mois und Breslau wurde in Neisse (Nysa) ein Zwischenstopp eingelegt, um sich in einem Café in der Innenstadt, nahe der Basilika St. Jakobus und Agnes gelegen, von dem anstrengenden Wallfahren bei Kaffee und Kuchen etwas zu erholen.

 

Am nächsten Tag, nach der Sonntagsmesse, die die Wandersleute aus Deutschland mit der deutschen katholischen Gemeinde Breslaus in der Kapelle der Hedwigsschwestern in der Ul. M. Sępa Szarzyńskiego, früher Hirschstraße, feierten, war ein Stadtbummel Richtung Ring, heute Rynek, Zentrum Breslaus mit dem historischen Rathaus, angesagt. Orte des Verweilens, Schauens und Erklärens waren dabei selbstverständlich die Dominsel, die ihren Inselcharakter durch Verfüllen von Oderarmen bereits vor vielen Jahrzehnten verloren hatte, die Domstraße (Katedralna) und der Platz vor der Kreuzkirche mit dem St.-Nepomuk-Denkmal in der Mitte sowie die Dombrücke mit den Sandsteinstatuen der Hl. Hedwig und des Johannes Baptista und die Sandinsel. Von hier aus wurde der Blick nach Norden über den Oderarm auf die St- Martini-Kirche gerichtet. Diese Kirche dürfte die älteste erhaltene Kirche Breslaus sein.[7] War sie doch die Kapelle des alten herzoglichen Schlosses am Oderübergang und zeichnet sich durch seine Form als achteckiger Zentralbau mit einem zweijochigen Chor aus. Im Umfeld der Martinikirche sind die Grundmauern des nicht mehr vorhandenen herzoglichen Schlosses, früher sicher eine wehrhafte Burganlage, die nach dem Jahre 1017 als Ersatz für eine etwas weiter östlich auf der Dominsel gelegene Burganlage entstanden sein dürfte, im Straßenpflaster und den angrenzenden Grünanlagen mittels fest verlegter Ziegelsteine anschaulich dargestellt.[8] 

Vorbei an der Kirche Maria auf dem Sande und über die Sandbrücke ging es auf das Südufer der Oder. Hier wird der Blick gefesselt von der fein gegliederten Barockfassade des St. Vinzenz-Klosters, in dem von 1530 bis zur Säkularisation im Jahre 1810 die Breslauer Prämonstratenser ihr Domizil hatten. Danach Oberlandesgericht, sind in dem Gebäude heute Teile der Philologie der Universität Breslau untergebracht. Durch die Straße Ritterplatz, heute Pl. Nankiera Biskupa, und vorbei am Kloster und Gymnasium der Ursulinen ging es zur Matthiaskirche, um dort an der von der Vereinigung der ehemaligen Lehrer und Schüler des St. Matthiasgymnasiums zu Breslau und des Freundeskreises der Matthesianer (diese Vereinigung löste sich am 31. Dez. 2009 auf!) gestifteten und angebrachten Gedenktafel für den Breslauer Arzt, Mystiker und Dichter Johannes Scheffler (1624-1677), bekannt unter seinem Pseudonym Angelus Silesius, zu verweilen.

Nach dem Mittagessen in einem Lokal am Ring ging es weiter zu dem immer wieder beeindruckenden Gebäude der Universität Breslau, der Leopoldina. Das Gebäude ist ein Fragment geblieben, denn der Flügel, der neben der Durchfahrt nach Osten hin analog dem bestehenden Westflügel vorgesehen war, gelangte nicht mehr zur Ausführung. Die Eroberung Schlesiens durch Preußen in Verbindung mit preußischer Nüchternheit ließ eine derartige, das Auge erfreuende Bautätigkeit nicht zu.

Der Rückweg nach Nieder-Mois wurde noch unterbrochen von einem Besuch im Schloss in Krieblowitz (Krobielowice), auch bekannt unter dem Namen Blüchersruh. Bis zur Säkularisation im Jahre 1810 gehörte das Schloss Krieblowitz, errichtet im Renaissancestil in den Jahren 1570-1580 und von 1702 bis 1704 im Barockstil zu einer Vierflügelanlage umgebaut und erweitert, zum Breslauer St. Vinzenz-Kloster und war Sitz der Verwaltung der Güter der Prämonstratenser. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) schenkte im Jahre 1814 Schloss, Gut und Dorf Krieblowitz sowie elf weitere säkularisierte Güter dem Feldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher (1742-1819) für dessen herausragende militärische Verdienste bei der Vertreibung Napoleons aus Deutschland [9]. Im Jahre 1878 erfolgte eine weitere Umgestaltung des Schlosses im Neorenaissancestil. Nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte das Schloss zunehmend Verfallserscheinungen – Anfang der 90er Jahre, als ich Krieblowitz erstmals besuchte, wuchsen z. B. Birken aus dem Dach heraus – und erst der Kauf der Schlossanlage in eben diesen Jahren durch Nachfahren der Familie Blücher brachte eine Wende zum Wiedererstehen des Schlosses zu einer repräsentativ, das Auge erfreuenden Anlage. Die Nachfahren der Familie Blücher betreiben heute in dem Schloss ein Hotel mit angegliederter Restauration.

 

 

Am Montag, 18. September 2023, war für die sechs deutschen und sieben polnischen Wandersleute das im Hirschbergberger Tal gelegene Schloss Lomnitz in dem heute zur Stadt Hirschberg (Jelenia Góra) gehörenden Dorf Lomnitz (Łomnica) Tagesziel. Arne Franke schreibt, dass Lomnitz „eine der am besten gepflegten herrschaftlichen Anlagen des Hirschberger Tals ist“[10], bestehend aus dem Ensemble des inzwischen vollständig wiederhergestellten Schlosses, des bereits seit Jahren restaurierten Witwenhaus, in dem ein Hotel-/ Restaurationsbetrieb eingerichtet ist, und einem längs des Flusses Bober sich erstreckenden, zu kleinen Spaziergängen einladenden Park.

Die Ursprünge des Schlosses Lomnitz liegen im Dunklen. Besitzerfamilien waren die bekannte und weitverzweigte Adelsfamilie von Zedlitz, im XVIII. Jahrh. kam es mitsamt zugehöriger Landwirtschaft in die Hand des Hirschberger Kaufmanns Christian Mentzel und im Jahre 1835 erwarb der preußische Gesandte am sizilianischen Hof, Carl Gustav Ernst von Küster, Schloss und Gut Lomnitz. 1945 dann, nach der Vertreibung der Deutschen und Einzug der Polen, fand zunächst eine Landwirtschaftsschule Platz im Schloss und schließlich, bis 1970, war eine Volksschule darin untergebracht. Danach geriet das leerstehende Schloss in sehr starken Verfall und wurde eine Ruine. Nach der 1989er Wende, im Jahre 1991, konnten Nachkommen der Familie von Küster mit polnischen Partnern die Schlossruine und im Weiteren dann auch das Witwenhaus, den Park und die dem Schloss vorgelagerten Gutsgebäude erwerben. Nun begann eine jahrelang währende Wiederherstellung des gesamten Ensembles unter Berücksichtigung architektonischer und kunsthistorischer Aspekte, um den Charakter der Anlage – das Schloss wurde 1720 im Barockstil erbaut und 1838 im Biedermeierstil umgebaut, Anfang des XIX. Jahrh. wurde in spätbarocken Stil das Witwenhaus errichtet – möglichst originär aufzuzeigen.

Frau Elisabeth von Küster, im Schloss wohnende Besitzerin von Lomnitz, führte die dreizehn Wandersleute persönlich durch die verschiedenen Zimmer, die im Stil der verschiedenen Epochen, z. B. Biedermeier, und nach Geschmack der jeweiligen Bewohner eingerichtet waren, ihres Domizils. Frau von Küster gewährte dabei auch Einblicke in die Zeit ihrer Ankunft in Lomnitz Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. „Es war ein Abenteuer, das man nur wagen kann, wenn man jung ist“, so die Schlossherrin, „und mühselig dazu“. Mühen, die sich gelohnt haben und Anerkennung und Respekt einbrachten – auch bei den polnischen Nachbarn.[11]

Im Garten hinter dem Witwenhaus wurde zum Abschluss des Ausflugs nach Lomnitz bei herrlichem Sonnenschein dem Kaffee und Kuchen zugesprochen und auch noch ein Spaziergang durch den Schlosspark unternommen. Die Schlossanlage Lomnitz mit Witwenhaus und Park – und auch den renovierten Gebäuden des ehemaligen, dem Schloss gegenüberliegenden Gutsbetriebes – ist ein Kleinod mit Ausstrahlung im Hirschberger Tal, so das Resümee der Wandersleute an diesem Tage!

Am Abend wurde zum Ausklang dieses Tages in Nieder-Mois noch einmal ein Lagerfeuer entzündet und wohlschmeckendes polnisch Bier zur Einregulierung des Flüssigkeitshaushaltes getrunken.

 

Der letzte Wandertag führte zum größten Schloss Schlesiens, zu dem in Waldenburg (Wałbrzych) an Nordrand des Waldenburger Berglandes gelegenen Schloss Fürstenstein. Gegen Ende des XIII. Jahrh. als wehrhafte Burganlage auf einem steil aufragenden Bergsporn, der im Norden, Westen und Süden von dem tief in den Berg eingekerbten Flüsschen Polsnitz (auch Freiburger Wasser genannt, polnisch Pełcznica) umflossen wird, errichtet, verwandelte sie sich im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr zu einem repräsentativen Wohnschloss. In den verschiedenen Anbauten des Schlosses spiegeln sich die Baustile der jeweiligen Epoche wider - Renaissance, Barock und Neorenaissance.

Erbaut von dem Herzog Bolko I. zwecks Sicherung und Verwaltung seines Herzogtums Schweidnitz, wurde die Burg Fürstenstein Stammsitz dieses Zweiges der schlesischen Piasten. Im Wege wechselhafter Erbfolge – zeitweise gehörte das Herzogtum Schweidnitz zu Böhmen und Ungarn – gelangte Burg/ Schloss Fürstenstein im Jahre 1509 in die Hand der in Schlesien ansässigen Familie von Hoberg, deren Name sich über Hohberg und Hochberg schließlich zu von Hochberg-Pless, nachdem umfangreiche Besitzungen in Oberschlesien inkl. Montanindustriebetriebe zum Familienbesitz hinzugekommen waren, wandelte. Die glanzvollste Zeit für Fürstenstein war zweifellos der Anfang des XX. Jahrh., als Hans Heinrich XV., Fürst von Pless und Graf von Hochberg, Besitzer war. Er hatte 1891 die Engländerin Mary Theresa Olivia Cornwallis-West, genannt Daisy, geheiratet. Sie, die aufgrund ihrer Herkunft im englischen Adel stark vernetzt war, führte fortan den Titel Fürstin von Pless, Gräfin von Hochberg und Freifrau zu Fürstenstein. Aufgrund der enormen finanziellen Ressourcen der Familie von Hochberg-Pless konnten ihr Mann und sie ein Leben führen, das sie mit zu den ersten Repräsentanten des europäischen Hochadels werden ließ. Zugleich bemühte sich Daisy nach ihrer Heirat und Übersiedlung von England nach Deutschland darum, Land und Menschen der neuen Heimat zu verstehen und entwickelte u. a. soziales Engagement insbesondere für benachteiligte Frauen und Kinder. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen hatte gravierende Einschnitte für die Familie von Hochberg-Pless: Verlust von Besitzungen in Oberschlesien, die nun in Polen lagen, inflationäre Geldentwertung und Schwinden der finanziellen Basis, Daisys gesellschaftlicher Status als Engländerin schwand und die Ehescheidung 1922.[12]

 

Seit dem Jahre 1928 wurde Schloss Fürstenstein nicht mehr zu Wohnzwecken genutzt. Bescheidenen Ersatz boten insoweit die beiden Kavaliershäuser der Vorburg. Schwierige Verhältnisse in der von Hochberg-Pless’schen Familie vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und des Zweiten Weltkriegs führten dazu, dass im Jahre 1943 der Staat den Besitz Fürstenstein beschlagnahmte und für seine Zwecke zu nutzen begann. Im und unter dem Schloss wurden mit dem sogenannten „Projekt Riese“ Lager- und Aufenthaltsräume für Führungsorgane der SS und anderer NS-Herrschaftsstrukturen geschaffen. Für diese Umbaumaßnahmen und Anlegung der tief in den Untergrund hineingetriebenen Stollen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurden ca. 3.000 Zwangsarbeiter und Häftlinge des Konzentrationslagers Groß-Rosen bei Striegau eingesetzt.

 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Schloss von den siegreichen Sowjettruppen gründlich geplündert, später etablierten sich verschiedene polnische Verwaltungsorgane in dem Schloss und seit 1990 ist es im Besitz der Stadt Waldenburg. Seit dem Jahre 1973 ist Fürstenstein in die Stadt Waldenburg eingemeindet.

 

Nach einem mittels Kopfhöreransagen begleiteten Rund-gang durch das Schloss – umfangreich, hochinteressant, lohnenswert und auch ermüdend – gab es durch die terrassenförmigen Gärten auf der Süd-, West- und Nord-seite des Schlosses eine zweite Führung. Unser Führer war Leopold Stempowski, Mitglied des DFK Waldenburg und Sohn der noch heute in dem südlichen Kavaliershaus des Schlosses wohnenden hochbetagten Doris Stempowska, die Fürstin Daisy von Pless, im Jahre 1943 vereinsamt und verarmt in Waldenburg gestorben, noch persönlich kennen-gelernt hatte. Eine direkte Begegnung mit Frau Stempow-ska – wie von ihrem Sohn angestrebt – konnte wegen ihres hohen Alters in Verbindung mit aktuellen Beschwer-nissen nicht zustande kommen. Jedoch zeigte sie sich am Fenster ihrer im 1. Stock des Kavalierhauses gelegenen Wohnung und winkte uns zu – fast huldvoll und an vergangene Zeiten erinnernd!

Terrassengärten von Schloss Fürstenstein

Photo: H.Jungnitz

 

Leopold Stempowski war bis vor zwei Jahren, so berichtete er u.a., im Untergrund des Schlosses Fürstenstein tätig als Mitarbeiter des Geophysikalischen Instituts der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Dieses betreibt heute in dem vor achtzig Jahren angelegten Stollensystem unter dem Schloss eine hochsensible Messstation für Erderschütterungen, eine Erdbebenwarte. Herr Stempowski berichtete, dass aufgrund des besonderen geologischen Aufbaus des Schlossuntergrundes selbst noch Erderschütterungen in Fernost, also Ostasien, registriert werden können.[13] Neben vielen anderen Details berichtete er weiter, dass das Wohnen und Leben im Schloss Fürstenstein zu Zeiten der Familie von Hochberg-Pless einen enormen Energieeinsatz erforderte: Durchschnittlich wurden täglich zwei mit Kohle vollbeladenen Eisenbahnwaggons verbraucht.

 

Eine Besichtigung des Stollensystems und der Erdbebenwarte unter dem Schloss konnte aus zeitlichen Gründen nicht mehr erfolgen. Diese trifft auch für das in der Nähe liegende Landgestüt und die riesige Gewächshausanlage „Palmarium“ zu. In letzterer werden exotische Pflanzen aus aller Welt kultiviert. 

 

 

Der Abschluss der Wandertage in Schlesien 2023 wurde in Nieder-Mois auf der Veranda des Ferienhauses Jungnitz zelebriert: Zunächst gab es für die sechzehn Teil-nehmerinnen und Teilnehmer aus Breslau, Buchwald, Eisendorf (Jarostów) und Nieder-Mois Kaffee und Kuchen an der langgestreckten Tafel, dann, nach gebührender Vorbereitung, eine Hl. Messe mit Pater Marian Bernard Arndt OFM als Zelebrant und anschließend das Abendessen, das die Wanderfreunde aus Buchwald und Eisendorf vorbereitet hatten.

 

Abschluss der Wandertage in Nieder-Mois

Photo: H.Jungnitz

Selbstverständlich wurden die diesjährigen Wandertage auch reflektiert und positiv gesehen. Auch gab es bereits erste Überlegungen für die Wandertage in Schlesien 2024 des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken. Diese Über-legungen führten im Weiteren zu dem Titel (Berühmte Frauen Schlesiens) und zum Zeitraum (12. - 18. September 2024) der 2024er Wandertage in Schlesien.

 

Am Ende dieses Berichtes soll auf eine Dimension der Wandertage in Schlesien 2023, die im Text zwischen den Zeilen immer wieder durchschimmerte, expressis verbis aber so nicht zum Ausdruck gekommen ist, aufmerksam gemacht werden: Schlesien als Verbindung schaffende Brücke über Grenzen hinweg!

 

Beispiel Groß Stein: Der aus Groß Stein stammende Hl. Hyazinth erfuhr vor 800 Jahren Europa als Student in Frankreich, Italien und Böhmen; als Romreisender lernte er den Zentralort der katholisch-abendländischen Kirche und den gerade neugegründeten Dominikanerorden kennen; als Romrückkehrer war er Transporteur der Lebensweise des Hl. Dominikus und seiner Brüder nach Deutschland und Polen sowie in das Baltikum und in die Ukraine mit Nachwirkungen bis auf den heutigen Tag.

 

Beispiel Groß Stein: In Groß Stein lebt – hochbetagt – ein sehr wichtiger Brückenbauer: Erzbischof Alfons Nossol. Er hat bereits weit vor dem Fall des Eisernen Vorhangs sehr mutig und erfolgreich an der Vertrauensbildung und Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen gearbeitet!

 

Beispiel Maria Hilf Zuckmantel: Dieser Wallfahrtsort nahe der heutigen Grenze zwischen Polen und Tschechien zieht seit mehr als dreihundert Jahren Menschen als Pilger in seinen Bann. Er war und ist auch heute noch immer ein Wallfahrtsort, zu dem Menschen aus Tschechien und der Slowakei, aus Polen und Deutschland und der Ukraine am dritten Sonnabend des Septembers pilgern (Wallfahrt der Nationen) und dabei die nationalen Grenzen überwinden.

 

Beispiel Lomnitz: Über das Hirschberger Tal, in dem das am Bober-Fluss gelegene Schloss und Dorf Lomnitz zu finden sind, ist folgendes zu lesen: „Schon seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert fühlten sich Maler, Dichter und Kulturreisende durch die imposante Bergkulisse und die liebliche Tallandschaft angezogen. Zu den bekanntesten Künstlern, die das Tal in ihren Werken verewigten, zählen Casper David Friedrich, Sebastian Carl Christoph Reinhardt, Ludwig Richter, Carl Gustav Carus, Johann Wolfgang von Goethe, Alexander von Humboldt Theodor Körner und Theodor Fontane.

"Auch der spätere Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, John Quincy Adams, besuchte die Region … . Im frühen 19. Jahrhundert begann der preußische Hof das Tal als Sommerfrische zu entdecken. … Die Anwesenheit des preußischen Hofes im Hirschberger Tal zog weitere Mitglieder des europäischen Hochadels wie die polnische Familie Radziwiłł, den Grafen von Reden mit seiner Gattin Friederike, die Großherzogliche Familie von Hessen-Darmstadt und andere bedeutende Geschlechter nach. … Getragen wurden die Bauten und Parkanlagen vom Geist der Romantik des frühen 19. Jahrhunderts. … Dieses Ensemble von Schloss- und Parkanlagen, aus Wohn- und Bauernhausarchitektur, aus verstreuten romantischen Tempeln, Aussichtsplätzen, künstlichen Ruinen und Cottages, begrenzt von der imposanten Silhouette des Riesengebirgskamms, stellte eine Kulturlandschaft von europäischem Rang dar.“[14]

 

 

 

[1] Vgl. Arne Franke: Das schlesische Elysium (4. Auflage), Potsdam 2018.

[2] Was hier kurz und knapp in einem Satz mitgeteilt wird, war tatsächlich ein mehrjähriger Prozess, der 1995 seinen Anfang nahm. Vgl. Bernhard Jungnitz: Mein Weg nach Schlesien. Ein Beispiel für einen Hausbau eines Deutschen. In: Via Silesia. gdpv-Jahrbuch 1999, Münster 2000, S. 29-32.

[3] Erwin Mateja: Groß Stein und seine frühe Geschichte. In: https://kamienslaski.pl/2019/1838/gro-stein-und-seine-frhe-geschich... (abgerufen 29.11.2022).

[4] https://www.romaculta.com/kulturfabrik/die-statuen-von-sankt-peter (abgerufen 5.12.2023). Die Statue des Hl. Hyazinths, wie alle anderen Statuen der Kolonnaden 3,10 m hoch, befindet sich etwa in der Mitte des östlichen Halbrunds der Kolonnaden.

[5] Das Vordringen der mongolischen Reiterheere nach Westen konnte erst am 9. April 1241 auf der Wahlstatt/ Liegnitzer Feld bei der niederschlesischen Stadt Liegnitz gestoppt werden. Obgleich die Mongolen auf dem Liegnitzer Feld siegreich waren und das Ritterheer um den schlesischen Herzog Heinrich II. fast vollständig aufgerieben wurde und Heinrich II. selbst den Tod fand, drehten die Mongolen um und zogen Richtung Südosten ab, um nach Ungarn zu gelangen, wo sie auf das mongolische Hauptheer stießen. Vgl. Ludwig Petry, Josef Joachim Menzel, Winfried Irgang (Hrsg.): Geschichte Schlesiens, Band 1/ Von der Urzeit bis zum Jahre 1526 (6. Auflage), Stuttgart 2000, S. 107-110.

[6] Pater Heřman Rakowski: Der Wallfahrtsort Maria Hilf bei Zlaté Hory/ Zuckmantel (Wallfahrtsprospekt), Zlaté Hory 2018.

[7] Gerhard Scheuermann: Das Breslau-Lexikon – M-Z/ Band 2, Dülmen 1994, S. 1010-1011, Stichwort Martinikirche

[8] Gerhard Scheuermann: Das Breslau-Lexikon – A-L/ Band 1, Dülmen 1994, S. 584, Stichwort Herzogliche Burg

[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Krieblowitz (abgerufen am 8.12.20239).

[10] Wie Anm. 1, S. 156-163.

[11] Vgl. https://www.bz-berlin.de/archiv-artikel/eine-berliner-familie-hat-sich-in-polen-einen-traum-verwirklicht (Artikel vom 19.9.2004, abgerufen 9.12.2023); vgl. auch https://talderschloesser.de/hotel-schloss-lomnitz/ (abgerufen 9.12.2023).

[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Daisy_von_Pless (abgerufen 12.12.2023).

[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Fürstenstein (abgerufen 12.12.2023).

[14] Arne Franke: Das schlesische Elysium (4. Auflage), Potsdam 2018, S. 9-10.

 

 

Dr. Bernhard Jungnitz, Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.

 

 

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Historisch-politischer Arbeitskreis 2023 - 200 Jahre Bistum und Erzbistum Breslau

 

Der historisch-politische Arbeitskreis des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e. V. veranstaltete am 3./4. Juni 2023 im Erbacher Hof in Mainz eine Tagung über das zweihundertjährige Bestehen des Bistums oder später Erzbistums Breslau. Thematisiert wurden politische und gesellschaftliche Entwicklungen und sich daraus ergebende Neu-Umschreibungen der Diözesangrenzen. Vorstandsvorsitzender Dr. Bernhard Jungnitz begrüßte Referenten und Teilnehmer und erläuterte das Programm der Tagung. Prof. Dr. Rainer Bendel, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft katholischer Vertriebenenorganisationen (AKVO) in Stuttgart, hatte die Tagung zusammen mit dem Heimatwerk organisiert, führte in das Thema ein und moderierte den weiteren Verlauf.

 

Bendel wies darauf hin, dass die Tagung bereits 2021 stattfinden sollte, 200 Jahre nach der Festlegung der neuen Grenzen des Bistums Breslau 1821, jedoch wegen der Corona-Pandemie verschoben werden musste. Es lohne sich aber auch zwei Jahre später, das Thema aufzugreifen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren, so Bendel, in mehreren deutschen Regionen Neu-Umschreibungen bzw. Neu-Gründungen von Diözesen notwendig geworden, gerade auch im Südwesten, wo nach der Zerschlagung des Bistums Konstanz das Bistum Rottenburg-Stuttgart neu gegründet wurde. Bistumsgrenzen seien häufig an veränderte Landesgrenzen angepasst worden, meist mit einem gehörigen zeitlichen Abstand, um nicht vorgreifend zu agieren. Für die Darstellung der politischen Zäsuren und daraus folgenden Entwicklungen hätten überaus kompetente Referenten gewonnen werden können.

 

Prof. Dr. Piotr Górecki aus Oppeln/Opole – ausgewiesener Fachmann für neuzeitliche Kirchengeschichte und kirchliche Zeitgeschichte – sprach über die 1821 von Papst Pius VII. ausgefertigte Bulle „De salute animarum“. Sie war in Wirklichkeit ein zwischen dem Vatikan und dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. ausgehandeltes Konkordat, das auf die veränderten politischen Verhältnisse in Europa nach den Napoleonischen Kriegen (1799 – 1815) und dem Wiener Kongress (1814 – 1815) parallel zu tiefgreifenden staatlichen Reformen reagierte. Vor allem normalisierte die Bulle den Status der katholischen Kirche und die Grenzen der Diözesen zum ersten Mal in der Geschichte des protestantischen Preußen. Die Diözese Breslau war als Bestätigung der Trennung aus der metropolitanen Union mit Gniezno direkt dem Heiligen Stuhl unterstellt, gewann an Umfang und Bedeutung und wurde 1930 – nach dem Plebiszit über Oberschlesien – zur Erzdiözese erhoben.

 

Dr. Maik Schmerbauch von der Universität Hildesheim, Leiter des Militärarchivs in Berlin, hatte krankheitshalber ein Video seines Vortrags geschickt. Er befasste sich mit der Seelsorge für die deutschen Katholiken in der polnischen Diözese Kattowitz, die nach der am 20. Oktober 1921 vom Völkerbund beschlossenen Abtretung Ostoberschlesiens an Polen entstanden war und nun zur polnischen Wojewodschaft Schlesien gehörte. Am 5. November 1922 wurde der streitbare Salesianerpater Augustyn Hlond dort als Administrator, ab 1925 als Erzbischof eingesetzt. Für die rund 150.000 deutschen Katholiken in Ostoberschlesien war die Abtrennung vom Breslauer Bistum und die befürchtete Polonisierung eine Katastrophe. Obgleich viele von ihnen in den Folgejahren auswanderten, sei dennoch das Zusammenleben möglich gewesen. Nicht zuletzt durch Hlonds Gründung des „Sonntagsboten“ hätten sie ihr kirchliches Leben bis 1938 nahezu normal weiterführen können.

 

Prof. Dr. Michael Hirschfeld lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Vechta. Er befasste sich in seinem Vortrag mit schlesischen Einflüssen auf den Berliner Katholizismus, besonders in der Übergangsphase von der 100jährigen Geschichte des Delegaturbezirks Brandenburg-Pommern zum eigenständigen Bistum Berlin 1930. Eine Abhandlung zu diesem Thema sei bislang ein Desiderat. Angesichts einer Fülle von Einflüssen bei eng miteinander verbundenen Orten, Institutionen, Personen und Kunstwerken kam der Referent zu dem Ergebnis, dass der Katholizismus in Berlin ohne den Rückhalt, den ihm die Verbindung mit dem Fürstbischöflichen Stuhl von Breslau gab, nicht lebensfähig gewesen wäre. Breslauer Geistliche und Ordensleute waren teils schon über Jahrzehnte in Berlin sozialisiert, teils gelangten sie nach der Erhebung zum Bistum in Schlüsselpositionen. Charismatische Persönlichkeiten waren Bernhard Lichtenberg und Maximilian Kaller.

 

Am Abend las die 1937 in Breslau geborene Literatin Monika Taubitz aus ihrem 2022 erschienenen Werk „Miniaturen der Erinnerung“. Taubitz hat sich stets für die Verständigung zwischen Deutschen und Osteuropäern eingesetzt. Viele ihrer Werke wurden ins Polnische übersetzt. Seit 1965 ist ihre Wahlheimat Meersburg. Wegen ihres Engagements für ihre Vorgängerin, die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, ist ihr als erster Frau die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen worden. 1996 bis 2011 leitete sie den Wangener Kreis, eine 1950 gegründete Gesellschaft zur Pflege der Kultur und Geschichte Schlesiens, die jährlich den Eichendorff-Literaturpreis verleiht. Taubitz trug das Porträt der gar nicht frömmlerischen, sondern standfest-humorvollen Nonne Hubertina, der geliebten Tante ihrer Großfamilie Hildegard Zenker vor, danach ihre Erinnerungen an Max Tau, den 1897 in Beuthen geborenen Berliner Verlagsdirektor, der einen untrüglichen Spürsinn für junge Talente hatte und Deutschland mit der skandinavischen Literatur bekannt machte.

 

 

 

Die Referenten der Tagung: Dr. B. Jungnitz, Prof. Dr. M. Hirschfeld, Bischof em. Prof. Dr. J. Kopiec, Dr. C. Brodkorb, Prof. Dr. R. Bendel und Prof. Dr. P. Gorecki, nicht abgebildet M. Taubitz

 

Photo: S. Teppert

Am folgenden Morgen konnten die Tagungsteilnehmer in der Kapelle des Erbacher Hofs an einem Pontifikalamt teilnehmen, zelebriert von Bischof em. Prof. Dr. Jan Kopiec und Pater Blasius aus Gleiwitz. Weil die menschliche Gotteserkenntnis unzulänglich und die Dreifaltigkeit für uns auf immer ein Geheimnis ist, so der Bischof in seiner Predigt, bleibe uns nur übrig, das Heilige zu loben und zu preisen und Gott zu danken.

 

In seinem Tagungsvortrag rekapitulierte Bischof Kopiec vor allem die letzten 50 Jahre seit der Bulle Episcoporum Poloniae coetus vom 28. Juni 1972 von Papst Paul VI. Was in diesen Jahrzehnten in der Neuordnung der Kirche in Polen, in Annäherung und Versöhnung der Völker sowie dem Aufbau eines gemeinsamen deutsch-polnischen Bewusstseins erreicht werden konnte, sei ein langer Weg gewesen und nur auf dem Hintergrund der gesamtstaatlichen und gesamtnationalen Situation beider Länder in den vergangenen Jahrhunderten zu verstehen. Deswegen bereite ein objektives Bild dieser Geschichte gewaltige Schwierigkeiten. Es müsse auch die Wahrheit vom deutschen Erbe in Schlesien sowie von der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus ihrer Heimat ans Licht kommen, ebenso aber die gegenseitigen kämpferischen Handlungen, die Zerstörung des Erbes des polnischen Volkes in der Vergangenheit sowie die Grausamkeit der Konzentrationslager.

 

Der Kirchenhistoriker Dr. Clemens Brodkorb, Leiter des Archivs der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten in München, referierte über den westlich der Oder-Neiße-Grenze gelegenen Teil des Erzbistums Breslau, der am Ende des Zweiten Weltkriegs auf Grund des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 nicht unter polnische Verwaltung kam, sondern der Sowjetischen Besatzungszone zugeschlagen wurde. In diesem Diasporagebiet des Erzbistums Breslau konnten Kapitelsvikar Ferdinand Piontek und dessen Nachfolger Gerhard Schaffran viel zu einer geordneten Seelsorge, zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Katholiken in Deutschland und Polen beitragen, durch Geschlossenheit den Einbruch des atheistischen Systems abwehren und den Kontakt zu Nichtglaubenden stärken, bevor das Gebiet nach dem Grenzvertrag 1972 zur Apostolischen Administratur Görlitz neu errichtet und 1994 pastoral begründet mit Rudolf Müller als Bischof zum Bistum erhoben wurde.

 

Bischof Kopiec stand zum Abschluss der Tagung den Teilnehmern Rede und Antwort über neuere Entwicklungen in der katholischen Kirche Polens, besonders seit der Wende am 4. Juni 1989. Solche Wendepunkte habe man öfter erlebt, etwa im Gefolge der Solidarność-Bewegung 1980, die entscheidend Revolution und Reform 1989 ermöglichte. Doch habe es auch danach ideologische und antikirchliche Einstellungen gegeben, die der Kirche ihre neue Freiheit streitig machten. 30 Jahre nach der Wende sehe man klar, wie – mit einer gewissen Verzögerung im Vergleich zum Westen – die Zahl der Kirchenbesucher und Messdiener, der Berufungen und Priesteramtskandidaten, aber auch der Ordensleute abnimmt, die Gemeinden zunehmen, die ein Priester zu betreuen hat, daher Kräfte für die 10.600 Pfarrgemeinden in Polen aus Afrika angeworben und Laien zur Mitarbeit ausgebildet werden. Auch vom sexuellen Missbrauch sei die Kirche in Polen betroffen und müsse dieses Problem aufarbeiten.

Stefan P. Teppert, M. A

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Jahrestagung 2023 - Mystik in Schlesien

 

 

Im Erbacher Hof in Mainz wandte sich am 25./26. Februar 2023 eine erstmals gemeinsame Jahrestagung der Gemeinschaft evangelischer Schlesier (Hilfskomitee) e. V. und des Heimatwerks Schlesischer Katholiken e. V. dem ebenso reizvollen wie verbindenden Thema der Mystik im heimatlichen Raum zu.

 

Dr. Bernhard Jungnitz, Vorstandsvorsitzender des Heimatwerks, begrüßte Referenten und Teilnehmer und zeigte sich zufrieden mit dem vollen, konfessionell gemischten Saal. Generalsuperintendent i. R. Martin Herche aus Görlitz hielt nach einem Rückblick auf die Entstehung der Organisationen auf evangelischer und katholischer Seite fest, dass es seit langem eine Zusammenarbeit zwischen beiden gebe und die Premiere einer gemeinsamen Tagung die Fortsetzung eines gemeinsamen Weges sei.

 

Prof. Dr. Rainer Bendel, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft katholischer Vertriebenenorganisationen (AKVO) in Stuttgart, hatte die Tagung zusammen mit dem Heimatwerk organisiert, führte ins Thema ein und moderierte. Der gemeinsame Weg der Konfessionen solle nicht nur mit einem allerseits geschätzten Thema, sondern auch methodisch durch die Mitarbeit der Teilnehmer neu starten. Diese erhielten deshalb Texte von drei verschiedenen Autoren ausgeteilt – eine an Dominikanermönche und -nonnen gerichtete Predigt über die Armut im Geiste von Meister Eckhart, ein Lied über die „Heilige Seelenlust“ sowie „Geistreiche Sinn- und Schlussreime“ von Angelus Silesius (Johannes Scheffler) sowie ein meditatives Selbstgespräch von Martin Moller über die Passion Christi – und sollten sich nach stiller Lektüre dazu äußern, was einen mystischen Text charakterisiert.

Bendel lobte die qualifizierten Beiträge, die kamen, und erläuterte mit dem geschulten Blick des Theologiehistorikers die Radikalität Eckharts. Bei seiner stark theozentrischen Mystik werde ein Zustand vor der Schöpfung unter Aufhebung der Raum-Zeit-Verfasstheit angestrebt. Alles Kategoriale und Geschöpfliche müsse dabei transzendiert werden. Mit Gott eins werden sei das Ziel der Armut, eine Letztvollkommenheit, die nur augenblicklich und individuell erreicht werden könne. Es gehe um höchst dramatische und gefährliche Paradoxien, wenn der Mystiker sich selbst und zugleich Gott aufzugeben trachte. Die verfasste Kirche hielt die Grenze zur Blasphemie für überschritten, Eckhart kam ins Visier der Inquisition und sollte sich vor dem Papst in Avignon verantworten. Die Bedeutung des Einzelnen wurzle, so Bendel resümierend, entgegen dem Bild vom finsteren Mittelalter in der Mystik.

 

Pfarrer Dr. Matthias Paul aus Görlitz übernahm die Moderation der Beiträge aus dem Publikum nach der Lektüre der Texte von Silesius und Moller. In der mittelalterlichen Mystik, führte er aus, gab es zwei wesentliche Richtungen, die eine auf Gott konzentriert, die andere auf den Heiland. Ihre Traditionen gehen bis aufs Neue Testament zurück mit seinen koexistierenden johanneischen und paulinischen Bildern. Zu den bedeutendsten schlesischen Mystikern, die ein neues, von der Tradition der gesamten vom Neuplatonismus ausgehenden Mystik deutlich abweichendes Denkmodell entwarfen, zählen vor allem Jacob Böhme, Angelus Silesius und Daniel Czepko. Bei Silesius gehe es nicht nur um die Menschwerdung Gottes, sondern auch um die Gottwerdung des Menschen. Mit seiner Kennzeichnung der Gottheit als ein Nichts, ein Über-Nichts und ein Un-Grund sei er von Eckhart und Böhme inspiriert und reiche aus Kirchensicht an die Grenze des Tolerierbaren. Silesius habe trotz seines europaweit Furore machenden Konvertierens zum Katholizismus wohl keine von beiden Kirchen als die allein richtige angesehen. Martin Moller, der um 1600 Pfarrer in Görlitz war, habe mit seinen Texten zeigen wollen, wie man sich durch Gebet und Meditation die Schrift aneignen, das eigene Glaubensleben vertiefen und sich am Beispiel Jesu stärken und trösten kann. Eine wichtige Rolle als Verbindungsglied der schlesischen Mystiker untereinander spielte Abraham von Franckenberg. Er war ein großer Vermittler des Lebens und Werkes von Jakob Böhme, dem Görlitzer Schuster, und pflegte eine Frömmigkeit, die ganz von diesem geprägt war. Mystische Texte, erläuterte Paul, seien in großem Umfang zugleich Gebetstexte. Ein wichtiger Aspekt an der Mystik sei ihr Widerstand gegen Borniertheit und machtbesessene Ideologien. Von Bedeutung sei sie auch heute noch. Der für seine „Begründungsfreie Rationalität“ bekannte Theologe Karl Rahner sagte sogar: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein … oder er wird nicht mehr sein.“

 

Nach Lektüre, Diskussionsbeiträgen und Kommentaren hielt den ersten Vortrag im eigentlichen Sinne Prof. Dr. Martin Rothkegel, der an der evangelischen Hochschule Elstal Kirchengeschichte unterrichtet. Er beschäftigte sich mit den schlesischen Theologen, Humanisten und Reformatoren Kaspar Schwenckfeld (1490 – 1561) und dessen theologischem Ideengeber Valentin Krautwald (1465 – 1545) sowie der von Herzog Friedrich gegründeten und von 1526 bis 1530 bestehenden ersten evangelischen Universität und einzigen Hochschule Schlesiens in Liegnitz. Schwenckfelds Botschaft beruhe auf dem Prinzip, dass nichts Äußerliches, Materielles oder Kreatürliches dem Menschen das Heil vermitteln kann. Das Schwenkfeldertum sei aber keine Mystik, sondern eine bibelorientierte, christozentrische Frömmigkeit. Am Anfang des eigenständigen theologischen Denkens von Schwenckfeld und Krautwald stand der Gedanke, dass die Sakramente keine wirksamen Gnadenmittel sein können. Daraus entstand ein theologisches System, das den Ursprung des Heils allein auf die Person Christi, den inkarnierten Logos, die Erlösung allein auf die Gnade und die Grundlage religiöser Erkenntnis allein auf die Schrift zurückführte. Obwohl in diesem System die typischen mystischen Begriffe und Konzepte fehlen und ein direkter Zusammenhang mit der Mystik nur über die Kirchenväter vorliegt, fallen doch, so Rothkegel, einige strukturelle Analogien zwischen der Lehre Schwenckfelds und der Mystik sofort ins Auge: einerseits die Vorstellung von einem innerlich-geistigen Weg zum Heil, der keiner äußerlichen Vermittlung durch Sakramente, Priester oder Kirche bedarf, andererseits die Vorstellung von einem Prozess der Heilszueignung, ein lernender Aufstieg und eine sittliche Verbesserung in Stufen oder allmähliche Vergottung des Menschen.

Rothkegel nannte die anfängliche Haltung der Schwenckfeld-Anhänger nonkonfrontativen Nonkonformismus. Doch mit der Ausarbeitung einer spekulativen, die menschliche Natur Jesu leugnenden, nur seine Glorie bekennenden Christologie wurde Schwenckfeld in den Augen der Kirche vollends zum Häretiker. Durch die Verfolgungen der Gegenreformation unter den Habsburgern wichen die Schwenckfelder in den südwestdeutschen Raum aus oder emigrierten in die Religionsfreiheit Pennsylvaniens, wo es bis heute eine Schwenckfelder Church mit Bibliothek, Museum und Kulturzentrum gibt. Die Erbauungsschriften und Briefe Schwenckfelds, der taub war und völlig zurückgezogen lebte, kursierten im klandestinen Netzwerk seiner Anhänger noch etwa eine Generation nach seinem Tod weiter und füllen in der zwischen 1907 und 1961 veranstalteten amerikanischen Ausgabe 19 starke Foliobände. Dagegen gibt es von seinem älteren und ungleich gebildeteren Mentor und theologischen Inspirator, dem Neißer Kanonikus Valentin Krautwald, einem der besten Kenner des Griechischen und der Kirchenväter im damaligen Schlesien, nur Vorlesungsmitschriften seiner Schüler. Nach seinem Bekehrungserlebnis verbrannte er alle seine Schriften und lehrte als Theologieprofessor an der Universität Liegnitz. Insgesamt können, so Rothkegel, Krautwalds Bibel-Auslegungen als die gelehrtesten und umfangreichsten der frühen radikalen Reformation gelten. In Schwenckfeldischen Kreisen kursierten sie bis ins frühe 17. Jahrhundert. Der erste Band einer dreibändigen wissenschaftlichen Edition der Vorlesungen Krautwalds erschien 2022 als Supplement zum Corpus Schwenckfeldianorum, herausgegeben von Rothkegel selbst.

 

Da Prof. Dr. Jan Harasimowicz aus Breslau mit einem Vortrag über mystische Implikationen im Werk des Barockmalers Michael Willmanns (1640 – 1706) krankheitshalber ausfiel, sprang spontan Dr. Bernhard Jungnitz ein, indem er Eindrücke von Wandertagen in Schlesien im September 2022 schilderte, mit Fotos illustrierte und mit historischen Exkursen ausbaute. Seit 2016 bietet das Heimatwerk an, sich an solchen Wandertagen zu beteiligen, nicht zuletzt um Begegnungen auch mit deutschen und polnischen Bewohnern Schlesiens zu ermöglichen. Stationen waren im vorigen Jahr Bad Warmbrunn und Bad Salzbrunn, Görbersdorf im Waldenburger Bergland, Schreiberhau sowie ein Ausflug nach Breslau mit Stadtbesichtigung von der Oder aus.

 

Über seinen Görlitzer Landsmann und Bürgermeister, Mathematiker, Kartograph und Astronom Bartholomäus Scultetus (1540 – 1614) referierte Dr. Matthias Paul. Er zeichnete zunächst dessen Leben nach und umriss die unübersichtliche politische Lage der damals zu Böhmen gehörenden Oberlausitz. Erst 2018 sei Scultetus durch einen über ihn publizierten Aufsatz ein Platz in der Kirchengeschichtsschreibung zugewiesen worden. Entsprechend schwierig gestaltete sich für den Referenten die Einordnung dieser Gestalt in das, was unter Mystik verstanden werden kann. Er versuchte den Wanderer zwischen den Welten von mehreren Seiten zu fassen, von seinem Studium in Wittenberg, wo er dem alten Melanchton, und in Leipzig, wo er Pfr. Johann Hummel und Tycho Brahe begegnete. Scultetus war Görlitzer Stadtrat, Bürgermeister und Kirchenverwalter, führte den gregorianischen Kalender ein, fertigte Horoskope an, baute astronomische Instrumente, pflegte Kontakte zu Anhängern des Paracelsus und Schwenckfelds sowie zu jüdischen Gelehrten, war in seiner Gottesvorstellung aber doch erstaunlich konservativ, lutherisch und kirchlich. Wenngleich kein Theologe, veröffentlichte er 1600 ein Buch, das sich auf 500 Seiten akribisch genau mit dem Leben Jesu von seiner Geburt bis zu seiner Himmelfahrt befasst und dem Leser so klar vor Augen stellt, als wäre er stündlich dabei. Solch ein Werk war für Scultetus notwendig, hatte doch die Gelehrtheit der Juden sie blind gemacht für das entscheidend Neue. Textkritik, astronomische, geografische und geschichtliche Bestimmungen verhalfen dem Verfasser zu so minuziöser Darstellung. Sie soll Hilfsmittel sein zu vertiefendem Schriftstudium und Verfeinerung der Glaubenspraxis. In diesem Werk geht der Autor auch auf Ignatius von Antiochien und Dionysios Areopagita ein, besonders letzterer bedeutend für die Geschichte der Mystik. Es liege auch nahe, beschloss Dr. Matthias Paul seinen Vortrag, dass Scultetus über seinen Görlitzer Landsmann Martin Moller Kenntnisse über mystische Traditionen erhielt.

 

Hans-Wilhelm Pietz aus Görlitz, evangelischer Theologe, Pfarrer, ehemaliger Dozent und Regionalbischof sowie Vorsitzender des Vereins für schlesische Kirchengeschichte, befasste sich mit dem Thema „Schlesische Mystik im Werk Hermann Stehrs (1864 – 1940) – ein kritische Relektüre“. Der Name Hermann Stehr, seine Lebensgeschichte und sein literarisches Werk seien heute weithin unbekannt. Vor allem seien es der Gebrauch, den die nationalsozialistische Literaturpolitik von seinen Worten und seinem Verhalten machte, und die von Stehr teils geduldete, teils noch beförderte Vereinnahmung seiner Gedanken- und Sprachwelt durch die NS-Ideologie, die eine Stehr-Rezeption nach dem Ende des 2. Weltkriegs weitgehend abbrechen ließ. Nur an wenigen Orten, wie dem Hermann-Stehr-Archiv in Wangen im Allgäu, wurde sein Beitrag zur deutschen Literatur- und Geistesgeschichte noch erforscht und präsent gehalten. Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es eine rege Stehr-Forschung vor allem in Polen. Viel gelesen wurden Stehrs Romane, Erzählungen und Gedichte am Beginn des 20. Jahrhunderts und in der Zwischenkriegszeit. Vor hundert Jahren war sein Name ein Inbegriff für wesentliche Aspekte und Gestalten schlesischer Mystik. Stehr wusste zu rühmen, dass der Mensch gerade in den Tönen und Bewegungen der Zeit der Ewigkeit teilhaftig ist. Die Schau des Jenseits im Diesseits, der Zusammenklang der Wirklichkeit mit Gott war sein Thema. Martin Buber würdigte ihn als echten Mystiker und zugleich echten Erzähler und bekannte, er wisse keinen andern, in keiner Literatur, von dem das gälte. Stehr erzähle das Zeitlose. Der Referent warf einen Blick auf Stehrs Lebenslauf, inklusive problematischer Aspekte seiner Persönlichkeit, bis hin zu seinem Nachruhm als „Dichter der Deutschen“, bevor er auf die zentrale Perspektive seines Dichtens einging: zu sich selber kommen als Weg zum wahren Leben und zu Gott. Ferner beleuchtete Pietz einige der Türen zur Erfüllung in Stehrs Werk: das Kind, das Lied, das Licht, der Weise und die Andacht respektive der Kunst als Andachtshilfe. In einem kritischen letzten Kapitel zeigte er die Problematik der Mystik Hermann Stehrs auf. Der Mut zum Sein und gegen die Entfremdung sei eine Vorwegnahme existenzialistischer Ansätze. Diese mystische Frömmigkeit komme ohne Gott als gnädig und streng begrenzendes Gegenüber aus und unterliege der Gefahr, den Menschen zu verabsolutieren. Die Endlichkeit des Menschen könne gegenüber seiner Entgrenzung jedoch auch als Wohltat begriffen werden. Dass Mystik neben einer Befähigung zum Widerstand auch ihre Abgründe der Gefährdung und Verführbarkeit hat, ist bei Hermann Stehr exemplarisch zu erfahren.

 

Stefan P. Teppert

 

 

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Nachwehen der Wandertage in Schlesien 2022 des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.:

Grünkohl war und ist in Schlesien weitgehend unbekannt!

 

 

Vor gut sechzig Jahren, als in der damaligen Bundesrepublik Deutschland das „Wirtschaftswunder“ seinen Lauf nahm, drängte es viele Deutsche hinaus aus den engen eigenen Grenzen. Die Mittelmeerländer – Italien, Griechenland, Jugoslawien, Frankreich und Spanien – waren für einige Wochen im Jahr begehrte Urlaubsziele. Zugleich kamen aus diesen Ländern viele Menschen nach Deutschland – als gerufene Gastarbeiter, um „unser Wirtschaftswunder“ zu befeuern. Nicht wenige der Gastarbeiter blieben auf Dauer und sind heute mit ihren Nachfahren in Deutschland beheimatet. Bei einem solchen Hin und Her konnte es natürlich nicht ausbleiben, dass auch ein kultureller Austausch, der vor der Küche nicht Halt machte, stattfinden musste. Mediterrane Küche, bis in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts nicht sonderlich populär in der Bundesrepublik Deutschland, ist heute eine Selbstverständlichkeit.

 

Zu dem Grundstück, auf dem der Verfasser dieser Zeilen vor mehr als zwanzig Jahren in dem kleinen Bauerndorf Nieder-Mois (Ujazd Dolny) im Kreis Neumarkt ein Ferienhaus errichtete, gehört auch ein Garten. Dieser wird seit einigen Jahren auch als Gemüsegarten genutzt. Robuste und pflegeleichte Pflanzen wie z. B. Kartoffeln, Bohnen und Grünkohl werden angebaut. Während der zurückliegenden trockenen Jahre waren die Ernten eher mager ausgefallen. Im vergangenen Jahr 2022 hingegen war die Ernte respektabel, insbesondere der Ertrag des Grünkohlbeetes darf als üppig bezeichnet werden und hat so manchen Grünkohlschmaus beschert!

 

Bei den Überlegungen, welche Pflanzen im Nieder-Moiser Garten sinnvollerweise anzubauen wären, hörte ich von ehemaligen deutschen Bewohnern der Region, dass Grünkohl in Nieder-Mois und den Nachbardörfern zur deutschen Zeit nicht auf dem Speiseplan stand, somit unbekannt war. Dies bestätigte auch meine Mutter, die im Jahre 1927 in Klein-Schottgau (Sadkówek) bei Kanth/ Landkreis Breslau zur Welt kam und bis zur Vertreibung im Jahre 1946 dort und in einem Dorf der Umgebung, wo sie im Haushalt eines landwirtschaftlichen Betriebes „in Stellung“ war, lebte. Grünkohl lernte sie erst nach der Vertreibung im Weserbergland im Westen Deutschlands kennen!

 

Bei meinen Besuchen in Polen seit Fronleichnam 1989, die mich nicht nur nach Niederschlesien, sondern auch nach Oberschlesien, auf die Halbinsel Hela und nach West- und Ostpreußen führten, habe ich öfters auch mit Polen gemeinsame Mahlzeiten gehabt. Immer war Kohl, Weißkohl (Biała Kapusta), in den verschiedensten Variationen dabei. Grünkohl (Jarmuż) hingegen fehlte. Erst um 2020 lernte ich bei einem Besuch im Nieder-Moiser Nachbardorf Buchwald (Bukówek) Grünkohl auf polnische Art kennen: Das Ehepaar Kudryński hatte zum Essen eingeladen und u. a. ein Grünkohl-Pesto zubereitet. Die Art des Grünkohlessens, die im Norden und Westen Deutschlands populär ist – gekochter Grünkohl mit Kohlwurst („Pinkel“) und Bratkartoffeln/ Salzkartoffeln –  gehört nicht zum Repertoire der polnischen Küche, so Ehefrau Kudryńska!

Nach diesen Erfahrungen mit Grünkohl/ Jarmuż in Polen/ Niederschlesien lag es einfach nahe, Freunde und Bekannte zu einem Grünkohlessen in das Nieder-Moiser Ferienhaus einzuladen. Ende Januar 2023 – das Wetter war kalt und die Temperatur schwankte um 0° Celsius, passend für einen abendlichen Grünkohlschmaus – waren die Ehepaare Kudryński, Makowski aus Eisendorf/ Jarostów im Kreis Neumarkt (die vier Genannten sind seit mehreren Jahren Teilnehmer der Wandertage in Schlesien des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.!) und Ehepaar Czupak aus Klein Baudiß/ Budziszów Mały im Kreis Liegnitz bei Hella und Bernhard Jungnitz zu Gast. Küchenchefin Hella „verzauberte“ die Gäste mit Grünkohl aus eigenem Anbau, „Pinkel“, Kassler und Bratkartoffeln – dazu herbes Jever-Pils – sowie einem Obstsalat mit Sahne und Amaretto-Krümeln als Nachtisch. Selbstverständlich war mit dem Essen der Abend nicht zu Ende. Dieser Abend der deutsch-polnischen Nachbarschaft und Gemeinsamkeit auf der Ebene des Alltäglichen – gemeinsam an einem Tisch sitzen, miteinander sprechen und essen – wurde mit nicht nur einem Gläschen Wodka allseits stark gewürdigt!

 

 Dr. Bernhard Jungnitz, Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.

 

 

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Beim Genießen des Grünkohls:

J. Kudrynska, M. Kudrynski, J. Makowski

und B. Jungnitz (v.l.n.r)

Photo: B. Jungnitz                                         

 

und die andere Tischseite:

Z. Makowska, M. Czupak und M. Czupak

(v.l.n.r.)

Photo: B. Jungnitz                                        

 

 

 

Wo man gesund wird – schlesische Bäder! Thema der Wandertage in Schlesien 2022, die ihren Ausgangs- und Endpunkt im Kreis Neumarkt hatten.

 

 

Inzwischen haben die „Wandertage in Schlesien“ des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V. schon eine gewisse Tradition. Waren die Wandertage 2022 doch bereits die siebten ihrer Art und fanden mehr Zuspruch denn je! Im Zentrum dieser Wandertage – fast durchgehend Ausflüge mit dem Auto – standen die bekannten Badeorte Salzbrunn (Szczawno Zdrój) im Waldenburger Bergland und Warmbrunn (Cieplice Śląskie-Zdrój) im Hirschberger Tal. Durchschnittlich elf Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und Polen/ Schlesien hatte sich auf den Weg gemacht – neben den genannten Badeorten, lediglich eine bescheidene Auswahl aus der Fülle schlesischer Bäder, waren die ehemalige Lungenheilstätte Görbersdorf (Sokołosko), ca. fünfzehn Kilometer südlich von Waldenburg (Wałbrzych), Breslau (Wrocław), der Zobtenberg (Ślęża oder Sobótka) und zum Abschluss Nieder-Mois (Ujazd Dolny) im Kreis Neumarkt angesteuerte Ziele.

 

Ausgehend von dem Ferienhaus in dem kleinen Bauerndorf Nieder-Mois, in dem die sechs Wandersleute aus Deutschland vom 12. bis 17. September 2022 ihre Bleibe hatten, ging es am 13. September vorbei an Striegau (Strzegom) und durch Freiburg (Świebodzice) Richtung Waldenburg, wo bereits seit dem Jahre 1366 bis gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts Steinkohle abgebaut worden war. Etwa fünf Kilometer vor Waldenburg liegt im Tal des Salzbaches der Ort Bad Salzbrunn, der im Jahre 1937 zum preußischen Staatsbad erhoben worden ist und erst in polnischer Zeit Stadtrechte erhielt.

 

Schon vor vielen Jahrhunderten, als in Schlesien noch die Vandalen zu Hause waren, also vor ca. 1600 Jahren, zogen mineralienreiche und als heilkräftig erkannte Quellen die Menschen an. Im Jahre 1221 wird Bad Salzbrunn als „Salzborn“ erstmals urkundlich erwähnt. Seit dem Hochmittelalter ist Salzbrunn mit dem nicht weit entfernt gelegenen Schloss Fürstenstein (Zamek Książ) verbunden, das von 1509 bis in die 1930er Jahre der Familie von Hochberg gehörte. Die Familie von Hochberg war es, die seit dem Jahre 1816 den Ausbau Salzbrunns zu einem Bad betrieben hatte. 1816 wurde eine Kurverwaltung gegründet, 1830 die großzügige, in Holz gearbeitete Wandel- oder Elisenhalle mit angebauter Trinkhalle – 1992 nach einem Brand originalgetreu in klassizistischem Stil wiederhergestellt – erbaut. Im 19. Jahrhundert entstanden auch der Kurpark, Pensionen, Gasthöfe und Hotels sowie ein Kurtheater, 1910 wurde das heute noch sehr repräsentative „Grand Hotel“, auch als „Schlesischer Hof“ bekannt, errichtet. Zu den Gasthöfen, die im 19. Jahrhundert zur Unterbringung der Kurgäste errichtet worden waren, zählt auch das ehemalige Hotel „Zur Preußischen Krone“.

 

 

Ferienhaus in Nieder-Mois    Photo: B. Jungnitz

 

 

 

 

Blick vom Kurpark auf die Wandel- und

Trinkhalle

                                                          Photo: B. Jungnitz                        

Blick in die Wandelhalle        Photo: B. Jungnitz

Dieses wurde Mitte des 19. Jahrhunderts wenig erfolgreich von Robert und Marie Hauptmann geführt. Sie sind die Eltern u. a. von dem bekannten Schriftsteller Carl Hauptmann (1858-1921)  und seinem weltbekann-ten Bruder Gerhart Hauptmann (1862-1946), der ob seiner herausragenden literarischen Tätigkeit im Jahre 1912 mit dem Literaturnobelpreis geehrt worden war. An dem ehemaligen Hotel „Zur Preußischen Krone“, in dem die Brüder Hauptmann das Licht der Welt erblickt hatten und das bei unserem Besuch leer und verschlossen stand sowie einen heruntergekommenen Eindruck machte, weist eine schlichte Gedenktafel auf Gerhart Hauptmann hin.

 

In Bad Salzbrunn trafen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Breslau, angeführt von Pater Marian Bernard Arndt OFM, und aus Nieder-Mois aufeinander. Ein Spaziergang durch den Kurpark, durch die Wandel- und durch die angrenzende Trinkhalle, wo die verschiedenen, mehr oder weniger mineralienreichen Heilwässer verkostet wurden (die Bad Salzbrunner Heilwässer sind geeignet bei Erkrankungen der Atemwege, des Magen-Darm-Traktes und der Harnorgane/ -wege), mündete in einem wohltuenden Besuch eines Cafés. Im 19. Jahrhundert waren Badekuren in aller Regel auf die Zeit vom Frühjahr bis zum Herbst beschränkt und auch durchgehend eine Angelegenheit von Begüterten und Adeligen. So auch in Bad Salzbrunn, wo insbesondere Angehörige des russisch-polnischen Adels sowie Mitglieder der preußischen Königsfamilie kurten, z. B. Zar Nikolaus I. (1796-1855) und Zarin Aleksandra Feodorowna (1872-1918) oder Schriftsteller wie Iwan Turgieniew (1818-1883), Wissarion Bieliński (1811-1848), Karl May (1842-1912) und Ludwik Zamenhof (1859-1917), Erfinder des Esperantos.

Im Anschluss an Bad Salzbrunn wurde der kleine, abgelegene Ort Görbersdorf aufgesucht. In der Abgeschiedenheit des südlichen Waldenburger Berglandes, in sehr waldreicher Umgebung, betrieb seit dem Jahre 1854 der Arzt Dr. med. Hermann Brehmer (1826-1889) sehr erfolgreich eine Lungenheilstätte. Denn schon in seiner im Jahre 1853 veröffentlichten Dissertation „Über die Gesetze der Entstehung und des Fortschreitens der Tuberkulose der Lunge“ stellte er die These auf, dass Lungentuberkulose im Frühstadium heilbar sei. Ohne die konkrete Ursache der Tuberkulose zu kennen – Robert Koch (1842-1910) entdeckte den Erreger der Tuberkulose erst im Jahre 1882 – , verfolgte Brehmer den richtigen Therapieansatz: Viel Bewegung in der frischen, gesunden Luft des waldreichen Waldenburger Berglandes in Verbindung mit einer guten Ernährung. Nachts musste bei offenem Fenster geschlafen werden, damit die Patienten auch zu nächtlicher Zeit die frische Waldluft atmen konnten. Wirtshausbesuche und andere Lustbarkeiten an Orten, wo es keine gesunde Luft gab, waren verboten. Mit diesem praktizierten Therapiekonzept darf Brehmer als Pionier der Therapie der Lungentuberkulose, auch Lungenschwindsucht genannt, gelten. Seine Behandlungsmethode war derart erfolgreich, dass das vorbestehende Sanatorium im Jahre 1877 durch einen monumentalen Neubau ersetzt werden musste. Die nach wie vor beeindruckenden Überreste dieses Gebäudes konnten in Augenschein genommen werden (um die Wende von 20. zum 21. Jahrhundert beschädigte ein Brand das ehemalige Sanatorium) und hinterließen doch einen etwas „unheimlichen“ Eindruck. Assoziationen zu dem Roman von Thomas Mann (1875-1955) „Der Zauberberg“, entstanden in der Zeit von 1913 bis 1924, drängten sich auf.

Mit Kaffee und Kuchen sowie später mit Salat und Wurst vom Grill klang der erste Wandertag auf der Veranda des Nieder-Moiser Ferienhauses aus.

 

Der zweite Wandertag, am Mittwoch, 14. September, führte vier der sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland auf den Zobtenberg, dessen 718 Meter hohe Kuppe von dem Städtchen Zobten am Berge (Sobótka) aus erwandert wurde. Leider wurde der 2 ½stündige Aufstieg und der fast ebenso lange dauernde Abstieg nicht durch eine wunderbare Fernsicht belohnt – das Wetter war zu diesig! Die anderen zwei Teilnehmer aus Deutschland, ein älteres Ehepaar, wollte sich den Zobtenberg nicht zumuten. Sie unternahmen an diesem Tag einen Ausflug in die Kreisstadt Neumarkt (Środa Śląska), die mit ca. 9.000 Einwohnern eher die Bezeichnung „Städtchen“ verdient hat und die nach der Zerstörung durch die Mongolen im Jahre 1241 schachbrettartig – mit Ring und Rathaus in der Mitte – wiederaufgebaut worden war und von einer noch heute in Teilen erhaltenen Stadtmauer umgeben ist.

 

Am Donnerstag trafen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und aus Polen, wiederum elf an der Zahl, in Breslau erneut aufeinander. Neben einem Gang durch Breslaus Altstadt u. a. über den Ring und vorbei an Rathaus, Elisabethkirche und Universität, ging es zur Sandinsel mit dem imposanten Bau der Kirche Maria auf dem Sande mit angrenzendem ehemaligen Augustinerchorherrenkloster, nach der Säkularisation im Jahre 1810 Universitätsbibliothek. Von der Sandinsel starten Touristenboote zu „Stadtführungen vom Wasser aus“. Unsere kleine elfköpfige Gruppe erlebte so eine völlig neue Perspektive auf die an der Oder liegenden Gebäudekomplexe Breslaus – sowohl Oder auf- als auch Oder abwärts. Der Besuch eines Cafés auf der Dominsel – mit Blick auf die Oder – schloss den Besuch in Breslau ab.

 

Am Freitag, 16. September, trafen sich die sechs Wandersleute aus Nieder-Mois und die fünf Wandersleute aus Breslau im Zentrum von Bad Warmbrunn, ein kleines Städtchen im Hirschberger Tal.  Bad Warmbrunn darf als ähnlich populär wie Bad Salzbrunn bezeichnet werden. Die warmen, bis zu 90 ° Celsius heißen Quellen wurden bereits im Jahre 1288 entdeckt und zogen Heilung suchende Menschen an. Der Ausbau Bad Warmbrunns zu einem weit über Schlesien hinaus bekannten Thermalbad, dessen Wasser auch reich an bestimmten Mineralien und insbesondere an Kieselerde ist, ist eng mit der Familie der Grafen von Schaffgotsch verbunden. Ein herausragendes Ereignis in der Geschichte des Badeortes Warmbrunn war zweifellos der Besuch der polnischen Königin Maria Kazimiera (1641-1716) im Jahre 1687. Es wird berichtet, dass sie mit 100 Wagen und 1500 Personen Gefolge nach Warmbrunn kam und während der Zeit ihres Aufenthalts im gräflich Schaffgotschen Schloss wohnte. Auch andere namhafte Persönlichkeiten wie Casper David Friedrich (1774-1840), August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), Theodor Körner (1791-1813), Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein (1757-1831), Karl August von Hardenberg (1750-1822) und der spätere Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, John Quincy Adams (1767-1848) suchten Bad Warmbrunn auf.

 

Von Bad Warmbrunn aus ging es in das nicht weit entfernt gelegene, in mehrere Ortsteile zersiedelte Schreiberhau (Szklarska Poręba). In Mittelschreiberhau lebten in einem zuvor erworbenen Haus von 1891 an die Brüder Carl und Gerhart Hauptmann mit ihren Familien.  In diesem Haus befindet sich heute das Museum „Carl und Gerhart Hauptmann Haus“. In ihm wird das Leben und Wirken der Hauptmann-Brüder und weiterer Künstler, insbesondere polnischer Künstler, die sich im Gefolge der Hauptmann-Brüder in Schreiberhau ansiedelten und eine Künstlerkolonie begründeten, aufgezeigt. Carl Hauptmann blieb bis zu seinem Tode im Jahre 1921 in dem Haus in Mittelschreiberhau (begraben wurde er auf dem evangelischen Friedhof in Niederschreiberhau; sein Grab erhielt im Jahre 2021 eine neue Grabplatte). Gerhart Hauptmann fühlte sich im Verlauf der Jahre zunehmend unwohler in Mittelschreiberhau – wohl auch bedingt durch schwierige eheliche Verhältnisse – und siedelt im Jahre 1901 in das neu erbaute „Haus Wiesenstein“ im nahe gelegenen Agnetendorf (Jagniątków) um.

 

 

 

Die "Wandersleute" E. Woletz und B. Jungnitz in Bad Warmbrunn

                                                                                                          Photo: B. Jungnitz

Die "Wandersleute" A. Glinka, B. Szyszka, E. Ludwig und C. Knoppik in einem Cafe inn Bad Warmbrunn    Photo: B. Jungnitz

Das Schaffgotsche Schloss in Bad Warmbrunn

                                            Photo: B. Jungnitz

Das Hauptmann-Haus in Schreiberhau

                                     Photo: B. Jungnitz

Grabdenkmal Carl Hauptmann‘ im Garten des Hauptmann-Hauses

                                                                      Photo: B. Jungnitz

Leider blieb nach dem Besuch des Hauptmannhauses in Mittelschreiberhau keine Zeit mehr für einen Besuch des „Haus Wiesenstein“. Denn in Nieder-Mois sollte noch der Abschluss der Wandertage in Schlesien 2022 zelebriert werden. Auf der Veranda des dortigen Ferienhauses warteten zunächst – neben vier weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den Nachbardörfern Nieder-Mois‘ – Kaffee und Kuchen auf die Wandersleute. In der sich anschließenden Hl. Messe, zelebriert von Pater Marian Arndt OFM am lang ausgezogenen Verandatisch mit den vierzehn darum sitzenden Wandersleuten, kam in den Fürbitten, die spontan von den Wandersleuten vorgebracht worden sind, Freude und Dank über die bereichernden Erfahrungen und Begegnungen während der diesjährigen Wandertage zum Ausdruck. Nach der von allen als anrührend empfundenen Hl. Messe – wohl deswegen machte auch niemand ein Foto! – gab es dann ein abschließendes Abendessen.

 

Dr. Bernhard Jungnitz, Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.

 

 

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VII. Kulturfestival der deutschen Minderheit Polens in der Breslauer Jahrhunderthalle

 

Corona und auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine haben den Verband der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen mit Rafał Bartek an der Spitze nicht entmutigen können: Das VII. Kulturfestival der deutschen Minderheit in Polen fand, nachdem es im September 2021 noch wegen Corona abgesagt werden musste, nun am 10. September 2022 – vier Jahre nach dem VI. Kulturfestival – in der Breslauer Jahrhunderthalle statt! Und auch in diesem Jahr war das Heimatwerk Schlesischer Katholiken e.V. mit seinem Präsentationsstand und sechs Standbegleitern wieder beim Kulturfestival der deutschen Minderheit Polens vertreten.

 

Zur Eröffnung des VII. Kulturfestivals um 12:00 Uhr begrüßte Rafał Bartek die Schar der einige tausend Köpfe zählenden Besucher – die Jahrhunderthalle war nicht bis auf den letzten Platz gefüllt – aus allen Teilen Polens, in denen es eine deutsche Minderheit gibt, und aus der Bundesrepublik Deutschland, der Ukraine und anderen an Polen grenzenden Ländern. Und es wurden die Nationalhymnen Polens und Deutschlands sowie die Europahymne gesungen. In Barteks Eröffnungsrede und in fast allen nachfolgenden Grußworten – es sprachen als ranghöchster Vertreter der polnischen Regierung Błażej Poboży, Unterstaatssekretär im polnischen Ministerium des Innern und der Verwaltung, Natalie Pawlik, Beauftragte der deutschen Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Thomas Bagger, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Polen, Ryszard Galla, deutschstämmiger Abgeordneter im polnischen Parlament und Zuzanna Donath-Kasiura, Vizemarschallin des Marschallamtes der Woiwodschaft Oppeln – klangen die Sorgen wegen der diskriminierenden finanziellen Mittelkürzungen ausschließlich für den deutschsprachigen schulischen Unterricht für die deutsche Minderheit Polens an. Zugleich wurde der Hoffnung, dass die derzeitige Situation nicht von Dauer sein könne, Ausdruck verliehen. Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass in dem im Programmheft des Festivals abgedruckten Grußwort Andrzej Dudas, Präsident der Republik Polen und zusammen mit Frank-Walter Steinmeier, Präsident der Bundesrepublik Deutschland, Schirmherr des VII. Kulturfestivals, ein anderer Tenor angeschlagen wird: „… Ich möchte dem Veranstalter, dem Verband der Deutschen Sozial-Kulturellen Gemeinschaften in Polen, meine Anerkennung und meinen Dank aussprechen. Indem Sie Ihren Wurzeln treu bleiben und Ihre eigenen Traditionen und Bräuche pflegen, leisten Sie einen kulturellen Beitrag zum Leben unseres Landes, und mit Ihrer täglichen Arbeit und Ihrem sozialen Engagement tragen Sie zur Entwicklung und zum Erfolg der polnischen Regionen bei, in denen die deutsche Minderheit die lokale Gemeinschaft mitgestaltet. …“. Der vom polnischen Staatspräsidenten gesehene Beitrag der deutschen Minderheit zur Entwicklung Polens wird von der aktuellen polnischen Politik nicht etwa honoriert, sondern durch Mittelkürzung für minderheitsbezogenen deutschsprachigen Unterricht bestraft. Welch eine Ungereimtheit in der polnischen Politik!

 

Während in dem Innern der Jahrhunderthalle im Weiteren ein buntes Programm mit Darbietungen von Chören, Tanzgruppen, Bands, Orchestern, Solisten und dem Stargast Stefan Mross bis in die späten Abendstunden ablief, gab es im 1. Stock der Jahrhunderthalle/ Kaisersaal kinder- und jugendspezifische Veranstaltungen, u. a. eine Talkshow „Junges Europa 2022 - Herausforderungen für die Zukunft“. In dem die Jahrhunderthalle umgebenden Wandelgang waren 40 Stände und Ausstellungen platziert, die den vielen Besuchern und Besucherinnen reichlich Nahrung für Körper und Geist boten. Darunter waren auch Stände von Organisationen aus der Bundesrepublik Deutschland, auch der Stand des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V..

 

Mit der Präsenz des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken beim VII. Kulturfestival der deutschen Minderheit in Polen verfolgt das Heimatwerk ein in seiner Satzung festgeschriebenes Ziel. Dort heißt es im § 2: „… Der Verein hat insbesondere die Aufgaben, … Kontakte zur katholischen Kirche Polens, insbesondere zur heutigen Erzdiözese Breslau und den neu errichteten schlesischen Diözesen für den dort verbliebenen Teil Schlesiens sowie zu den Gruppierungen der deutschen Minderheit in Schlesien zu suchen und zu pflegen; …“. Vor diesem Hintergrund hat das Heimatwerk Schlesischer Katholiken e.V. am 10. September 2022 in der Breslauer Jahrhunderthalle „Flagge“ gezeigt: Der Stand war u. a. mit der Fahne des Heimatwerkes – Fahne des alten Erzbistums Breslau – geschmückt und hatte das Leitthema „Schlesien als Brücke in einem christlichen Europa“ und die Unterthemen „Keine Vertreibungen“, „Religiöses und kulturelles Erbe“ und „Verständigung – Versöhnung“. Mit den zahlreichen Standbesuchern wurden teils intensive Gespräche geführt und es wurden verschiedene, über das Heimatwerk informierende Drucksachen in großer Zahl überreicht. Hochzufrieden, aber auch einigermaßen erschöpft, konnte das Standbetreuungsteam gegen 18:00 Uhr mit dem Abbau des Standes beginnen.

 

Vor der Eröffnung des VII. Kulturfestivals in der Jahrhunderthalle waren Kulturfestivalbesucher in nicht geringer Zahl zu einem ökumenischen Gottesdienst in der Breslauer Kirche „Maria auf dem Sand“ zusammengekommen, um zum Auftakt des Kulturfestivals den verbindenden Hl. Geist, Gottes Geist, in das „Tagesgepäck“ zu nehmen. Mitglieder des Standbereuungsteams des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V. nahmen an dem ökumenischen Gottesdienst, der ursprünglich in der Breslauer Kathedrale stattfinden sollte, teil. Und bereits am Vortag, am Freitag, 9. September 2022, hatte Martin Kremer, Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Breslau, aus Anlass des VII. Kulturfestivals der deutschen Minderheit in Polen zu einem Empfang eingeladen. An diesem Empfang nahm das Standbetreuungsteam des Heimatwerkes ebenfalls teil.

 

Dr. Bernhard Jungnitz, Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.

 

 

Stand des Heimatwerkes auf dem Kulturfestival 2023

                                                                             Photo: B. Jungnitz

Empfang im Generalkonsulat anlässlich des Kulturfestivals 2023

                                                                                                      Photo: B. Jungnitz

 

 

 

 

Seligsprechung von zehn Schwestern der Gemeinschaft der Schwestern von der hl. Elisabeth im Breslauer Dom

 

 

Am 11. Juni 2022 wurden im Breslauer Dom St. Johannes der Täufer im Rahmen einer Hl. Messe zehn Schwestern der Gemeinschaft der Schwestern von der hl. Elisabeth, die nach ihrem Ordenskleid auch „Graue Schwestern“ genannt werden und die u. a. in der schlesischen Kreisstadt Neumarkt ein Krankenhaus, das Elisabethstift, betrieben haben, selig gesprochen. Die Seligsprechung nahm im Namen von Papst Franziskus der Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen, Kardinal Marcello Semeraro, mittels Verlesens des entsprechenden päpstlichen Dekrets vor. Der Vorsitzende des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V., Dr. Bernhard Jungnitz, hatte Gelegen-heit, an dieser außergewöhnlichen Feier in der Breslauer Kathedrale teilzunehmen.

 

Seligsprechungen – passt dergleichen noch in unsere Zeit? Und was war geschehen, dass gleich zehn Schwestern selig gesprochen wurden? Im Begleitheft für die Feier der Seligsprechung finden sich unter der Überschrift „Zeit des Opfers“ dazu folgende Erläuterungen:

 

"Der II. Weltkrieg brachte viele materielle und psychische Zerstörungen mit sich. Unschuldige Menschen, die sich der nationalsozialistischen Besatzung widersetzten, haben gelitten. Viele Geistliche, Ordensangehörige und katholische Laien haben ihr Leben wegen ihres Glaubens an Gott und der Zugehörigkeit zur Kirche geopfert. Gegen Kriegsende und gleich nach dem Krieg hat sich die Situation in den Gebieten, die von der Roten Armee besetzt wurden, kaum verändert. Lang ist die Liste der Zeugen für Christus aus dieser Zeit: Priester, Ordensbrüder, Ordensschwestern und Laien wurden getötet, misshandelt und gedemütigt. Viele Mädchen, Frauen und Ordensschwestern wurden vergewaltigt, obwohl sie mutig Widerstand leisteten. Mit Gewalt und Schlägen wurden sie so zugerichtet, dass sie sich nicht mehr wehren konnten. Oft sollte ein Schuss aus dem Gewehr das Opfer für immer „zum Schweigen“ bringen.

Jahrelang durfte über ihre christliche Heldentat nicht gesprochen werden. Jetzt werden ihre Namen aus der Geschichte hervorgeholt, um dem heutigen Menschen standhafte Glaubenszeugen zu zeigen. Darunter befinden sich auch die Schwestern von der hl. Elisabeth, die mit ihrem Tod die Treue zur Berufung, zu Gott und zur Nächstenliebe bezeugt haben. Von diesen wurden zehn Schwestern ausgewählt. Sie vertreten alle Elisabethschwestern, die im Jahre 1945 in Schlesien getötet wurden."

 

Selig gesprochen wurden

 

1. Sr. Maria Paschalis (Magdalena Jahn), geb. 7. April 1916 in Neisse-Oberneuland (heute: Nysa), gest. 11. Mai 1945 in Zöptau (heute: Sobotin/ Tschechien);

 

2. Sr. Maria Edelburgis (Julie Kubitzki), geb. 9. Februar 1905 in Königlich Dombrowka/ später Eichendorf/Kreis Oppeln (heute: Dąbrówka), gest. 20. Februar 1945 in Sorau/ Provinz Brandenburg (heute: Żary/ Niederschlesien);

 

3. Sr. Maria Rosaria (Elfriede Schilling), geb. 5. Mai 1908 in Breslau (heute: Wrocław), gest. 23. Februar 1945 in Naumburg am Queis/ Kreis Bunzlau (heute: Nowogrodziec);

 

4. Sr. Maria Sabina (Anna Thienel), geb. 24. September 1909 in Riegersdorf/ Kreis Neustadt (heute: Rudziczka), gest. 1. März 1945 in Lauban (heute: Lubań);

 

5. Sr. Maria Melusia (Martha Rybka), geb. 11. Juli 1905 in Pawlau/ Kreis Ratibor (heute: Pawlow), gest. 24. März 1945 in Neisse (heute: Nysa);

 

6. Sr. Maria Sapientia (Lucia Heymann), geb. 19. April 1875 in Liebsdorf/ Kreis Deutsch-Krone (heute: Lubiesz bei Wałcz), gest.24. März 1945 in Neisse (heute: Nysa);

 

7. Sr. Maria Acutina (Helene Goldberg), geb. 6. Juli 1882 in Dluszek/ später Hartigswalde/ Kreis Neidenburg/ Ostpreußen (heute: Dłużek), gest. 2. Mai 1945 in Groß-Kreidel/ Kreis Wohlau (heute: Krzydlina Wielka);

 

8. Sr. Maria Adela (Klara Schramm), geb. 3. Juni1 1885 in Wiesau/ Kreis Glatz (heute: Łączna), gest. 25. Februar 1945 in Günthersdorf/ Kreis Bunzlau (heute: Godzieszów);

 

9. Sr. Maria Felicitas (Anna Ellmerer), geb. 12. Mai 1889 in Grafing/ Bayern; gest. 25. März 1945 in Neisse (heute: Nysa);

 

10. Sr. Maria Adelheidis (Hedwig Töpfer); geb. 13. September 1887 in Neisse (heute: Nysa), gest. 24. März 1945 in Neisse (heute: Nysa).

 

Alle Schwestern fanden den Tod bei der Verteidigung der eigenen Reinheit oder bei der Verteidigung der Reinheit anderer.

 

Einer Seligsprechung geht in aller Regel ein oftmals jahrzehntelanges Verfahren voraus: Sammeln und zusammen-stellen der Fakten; Prüfung der Fakten durch die lokale bischöfliche Behörde dahingehend, ob die Voraussetzungen für eine Seligsprechung gegeben sind; im positiven Falle Weiterleitung der Dokumente und Analysen an die zustän-dige Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen in Rom; erneute Prüfung durch die Kongregation; im positiven Falle päpstliche Entscheidung pro Seligsprechung; Akt der Seligsprechung vor Ort – im vorliegenden Fall also in Bres-lau.

Es ist davon auszugehen, dass mit dem Zusammenbruch des totalitären kommunistischen Systems in den Staaten, die den sogenannten Ostblock bildeten, die Zeit reif war, die Märtyrerinnen und Märtyrer des XX. Jahrhunderts, die dem nationalsozialistischen wie auch dem sich nahtlos anschließenden kommunistischen System zum Opfer gefallen waren, in Erinnerung zu rufen und vor dem Vergessen werden zu bewahren. Papst Johannes Paul II. (1920-2005) gab dazu bereits in seinem Apostolischen Schreiben „Tertio millennio adveniente“ vom 10. November 1994 folgende Anregung:

 

"In unserem Jahrhundert sind die Martyrer zurückgekehrt, häufig unbekannt gleichsam „unbekannte Soldaten“ der großen Sache Gottes. Soweit als möglich dürfen ihre Zeugnisse in der Kirche nicht verloren gehen. Wie beim Konsistorium empfohlen wurde, muß von den Ortskirchen alles unternommen werden, um durch das Anlegen der notwendigen Dokumentation nicht die Erinnerung zu verlieren an diejenigen, die das Martyrium erlitten haben."

 

In der Folgezeit sammelte und publizierte in Deutschland Helmut Moll für Deutschland die Lebens- und Leidens-geschichten dieser Blutzeugen (Helmut Moll: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, 2 Bände, Paderborn, München, Wien, Paris 1999). In dieser Zusammenstellung sind neben den Grauen Schwestern, die am 11. Juni 2022 in Breslau selig gesprochen worden sind, noch viele weitere Graue Schwestern, die das Martyrium erlitten, aufgeführt.

Im Jahre 2009 begannen in Breslau die Grauen Schwestern mit der Sammlung und Zusammenstellung der erforder-lichen Dokumente; 2011 nahm sich die Erzdiözese Breslau der Angelegenheit an und 2015 wurden alle Selig-sprechungsunterlagen an die zuständige Kongregation in Rom übergeben. Die dortige Prüfung kam am 19. Juni 2021 mit der Unterzeichnung des entsprechenden päpstlichen Dekrets zum Abschluss.

 

Was bei der Initiierung des Seligsprechungsprozesses für die zehn Grauen Schwestern und auch später – bei der Festlegung des Zeitpunkts für den letzten Akt des Verfahrens, nämlich den Akt der Seligsprechung vor Ort – nicht bekannt war, ist die Tatsache, dass 77 Jahre nach dem Martyrium der zehn Grauen Schwestern und vieler anderer, verübt von Soldaten der Roten Armee, die in mordender, vergewaltigender, raubender und plündernder Weise die Deutschen in Ost- und Mitteldeutschland von der nationalsozialistischen Herrschaft zu befreien suchten, dergleichen im Jahre 2022 erneut passiert und zwar in der Ukraine und wiederum verübt von Soldaten der Roten Armee, der Armee Russlands.

Die von Ruth Lipinski verfasste Zusammenstellung (Ruth Lipinski: Leben und Überleben 1945/46. Zeitzeugenberichte aus dem Kreis Neumarkt in Schlesien, Hameln 1996) der Ereignisse, die Anfang 1945 auch über den Kreis Neumarkt hereinbrachen, sprechen keine andere Sprache: Es gehörte damals, nicht anders als heute, zum Repertoire der „Befreier“, der Rotarmisten, die Befreiten zu drangsalieren, sie zu morden, zu vergewaltigen, auszurauben und auszuplündern. In Anlehnung an den Schriftsteller Erich Maria Remarque (1898-1970) drängt sich der Gedanke auf: Im Osten nichts Neues!

 

Abschließend sei noch erwähnt, dass sich die Feier der Seligsprechung der zehn Grauen Schwestern nicht nur auf die zweieinhalbstündige Hl. Messe, zelebriert in lateinischer, italienischer, polnischer, deutscher, ukrainischer und englischer Sprache und in die die Seligsprechung eingebettet war, beschränkte. Darüber hinaus fand am Tage der Seligsprechung in der Breslauer Jahrhunderthalle in den Abendstunden zur Ehre der neuen Seligen ein Konzert/ Sakro-Popfestival mit dem Titel „Wierne Miłości (Treu in der Liebe) statt, dass mit einer eucharistischen Andacht und Segen abschloss. Am Sonntag, 12. Juni 2022, gab es in der Breslauer Kathedrale eine Dankmesse für die Seligsprechung der zehn Grauen Schwestern unter Vorsitz des Breslauer Metropoliten Erzbischof Józef Kupny. Nachmittags hatten die Schwestern von der hl. Elisabeth – gleichsam zur Entspannung – zu einer Bootsfahrt auf der Oder eingeladen.

 

Dr. Bernhard Jungnitz, Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V. und stellvertr. Vorsitzender des Neumarkter Vereins e.V. Hameln

 

 

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Gedenktafel am Landgestüt in Warendorf

 

 

Vor mehr als 75 Jahren Vertreibung der Deutschen aus Ostdeutschland – was bleibt?

 

 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war unser Kontinent Europa in Erstarrung und Blockbildung gefallen. Diese begannen sich 1989 und in den Jahren danach mit dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs zu lösen. Grenzen wurden durchlässig und kaum mehr wahrnehmbar. Handel von West nach Ost und von Ost nach West nahmen von Jahr zu Jahr immer mehr zu. Es lag die Annahme nahe, dass Europa nun tatsächlich eine dauerhafte friedliche Zukunft haben würde. Waren die gut vier Jahrzehnte nach dem Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa geprägt von dem stets gefährdeten Frieden in der Zeit des Kalten Krieges, so kam es nach 1989 in Mitteleuropa in zunächst friedlicher Weise zu einer Neugestaltung der Grenzen. Völker machten sich selbständig, bildeten eigene Staaten. An erster Stelle ist die Wiedervereinigung von West- und Mitteldeutschland (BRD und DDR) unter Verzicht auf Ostdeutschland zu nennen, dann die Wiedererstehung der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, der Ukraine und kaukasischen Staaten sowie die Trennung der Tschechen und Slowaken in jeweils eigene Staaten. Im Weiteren war es dann mit dem friedlichen Selbstständigmachen vorbei. Beim Zerfall des durch das Tito-Regime zusammengehaltenen Jugoslawien kam es zu von Serbien angestifteten Kriegen, Völkermorden und Vertreibungen. In Deutschland kamen in jenen Jahren Balkanflüchtlinge in großer Zahl an.

 

In diesem Prozess der Umgestaltung Mittelosteuropas sah sich Russland, das in der ehemaligen Sowjetunion – Siegermacht des Zweiten Weltkrieges – tonangebend und bestimmend war, als großer Verlierer und suchte das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen am Kaukasus folgte 2014 der Ukrainekonflikt mit der Besetzung von ukrainischem Staatsgebiet im Süden und Osten. Im Jahre 2022 wurde daraus ein heißer Krieg mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung. Millionen von Ukrainern verließen ihr Land, Hunderttausende kamen bisher nach Deutschland. Diese Situation – Kriegsflüchtlinge und Vertriebene aus Europa Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts in Europa – zwingen dazu, an die Millionen Deutsche zu denken, die 1945 und insbesondere 1946 und auch noch in den Jahren danach aus Ostdeutschland flohen oder vertrieben worden waren. Ist dieses Geschehen vergessen? Kann Vertreibung dann, wenn die Betroffenen – Millionen Deutsche aus Ostpreußen, Westpreußen, Danzig, Pommern, Ostbrandenburg und Schlesien – inzwischen weitgehend verstorben sind, einfach abgehakt und ad acta gelegt werden? Ist das, was der Vertreibung folgte, nämlich Ankunft und im Weitern Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen im Westen und in der Mitte Deutschlands, nicht bedenkenswert?

 

Menschen brauchen Orte, die ihnen helfen, vergangenes Geschehen, das intensiv erlebt worden ist und angerührt hat, nicht aus dem Blick zu verlieren. Zweifellos sind Flucht und Vertreibung – Verlust der Heimat – sowie Ankunft in völlig neuer Umgebung und Angewiesensein auf vollständige Hilfe anderer Erlebnisse der besonderen Art, die es Wert sind, auch über das Leben der Betroffenen hinaus in Erinnerung zu bleiben.

 

65 Jahre nach der Vertreibung Zehntausender Neumarkter aus der Stadt und den Dörfern des Kreises Neumarkt und deren Ankunft im Weserbergland und im Osnabrücker Land kam es in Hilter im Landkreis Osnabrück zur Errichtung eines solchen Gedenkortes. Von März bis Juni 1946 kamen in dem an der eingleisigen Bahnstrecke Bielefeld-Halle/ Westf. Osnabrück gelegenen Bahnhof Hilter mehrere Züge, bestehend aus jeweils 50 Güterwaggons und besetzt mit 1.500 Heimatvertriebenen an und endeten hier. Eine erste Unterkunft in der Fremde fanden die ca. 24.000 Vertriebenen in dem nahe des Bahnhofs gelegenen ehemaligen Kalkwerk Hilter, das zu jener Zeit nicht mehr für die Herstellung von Kalk genutzt wurde, sondern der Champignonzucht diente. Geschlafen wurde auf Stroh, das auf dem Betonboden des Kalkwerkes ausgebreitet war. Nach erfolgter Registrierung wurden die Vertriebenen in die Dörfer des Landkreises Osnabrück weitergeleitet. Schon seit Jahrzehnten ist das Kalkwerk verschwunden und hat einem Gewerbegebiet Platz gemacht. Geblieben ist der Bahnhof Hilter.

 

Hier kamen zum Gedenken an die Ankunft der aus Ostdeutschland im Jahre 1946 Vertriebenen am 2. April 2011, 65 Jahre danach, engagierte Mitglieder pommerscher und schlesischer Heimatvertriebenenvereine, u. a. Klaus Labude vom Neumarkter Verein e.V. Hameln, zusammen und beschlossen die Errichtung eines Gedenkstein wider das Vergessen. Der Stein, eingeweiht am 28. September 2013 und Garant für ein Bestehen dieses Gedenkortes über Generationen hinweg, trägt die Inschrift:

 

Bahnhof der Erinnerung

Hilter a.T.W.

1946

Endeten hier 16 Transporte mit je 1500 bis 1700 Vertriebenen und Flüchtlingen aus dem deutschen Osten, Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen und aus dem Sudetenland.

2. April 2011

Gedenktag: 65 Jahre danach

Ostdeutsche Heimatgemeinschaft im Osnabrücker Land

Heimatrecht ist Menschenrecht

 

 

Am 13. Mai 2022 nahm eine fünfköpfige Delegation des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V. mit Fahne an der Enthüllung und Segnung eines weiteren Gedenkortes in Form eines Lesepultes u. a. für ostdeutsche Heimatvertriebene, dessen Errichtung das Heimatwerk mit 200,- € unterstützt hatte, im Landgestüt Warendorf teil.

Eigentlich war dieser feierlich Akt für 2021, also genau 75 Jahre nach dem großen Vertreibungsgeschehen des Jahres 1946, vorgesehen. Die Coronapandemie verzögerte jedoch die Terminierung der Einweihung einige Male.

 

Der Gedenkort Landgestüt Warendorf, Luftlinie nicht viel mehr als 30 Kilometer südlich von Hilter gelegen, zieht den Kreis deutlich weiter und erinnert daran, dass die leeren und mit frischem Stroh ausgelegten Pferdeboxen in den Ställen des Landgestüts ab Kriegsende zunächst als Aufnahmelager für ca. 5.000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene dienten, die auf den Rücktransport in ihre Heimat warteten. Gegen Jahresende 1945 kamen hier dann über 21.000 aus dem Rheinland und Westfalen nach Mittel- und Ostdeutschland Evakuierte unter, die nun zurückkehren konnten. Von März bis Herbst 1946 trafen ca. 43.000 Vertriebene, vor allem aus Schlesien und insbesondere aus dem Kreis Reichenbach und der Grafschaft Glatz, hier ein.

Die im Jahre 2020 gestartete Initiative zur Errichtung des Gedenkortes Landgestüt Warendorf ging von dem Glatzer Großdechanten Prälat Franz Jung aus, der als achtjähriger Knabe mit seiner Familie 1946 aus der Grafschaft Glatz kommend hier eine erste Bleibe im Westen Deutschlands fand. Umgesetzt wurde das Projekt von den Heimatvertriebenenvereinen Grafschaft Glatz e.V. und dem Heimatbund Kreis Reichenbach. Die Enthüllung und Segnung des Lesepultes – platziert am Haupteingang zum Landgestüt – nahm Prälat Jung vor. Die sich anschließende Feierstunde im Mittelgang eines der Pferdeställe des Landgestüts war für nicht wenige der ca. 120 Teilnehmer – Angehörige der Erlebnisgeneration wie z. B. Franz Jung – sehr anrührend. Zentrales Element der musikalisch begleiteten Feierstunde nach den Grußworten des Gestütsleiters Dr. Felix Austermann, des Warendorfer Bürgermeister Peter Horstmann und des Vorsitzenden des Heimatbundes Kreis Reichenbach, Heinz Pieper, war der Festvortrag des Historikers Prof. Dr. Michael Hirschfeld (Mitglied des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.) mit dem Titel: Was war? – Was ist? – Was bleibt? Flucht und Vertreibung – von der Erlebnisgeneration zur Erinnerungskultur. Ergreifende Zeitzeugenbericht, Totengedenken und eine Kaffeetafel mit Mohn- und Streuselkuchen rundeten die Feierstunde ab.

Das in Bronze gearbeitete Lesepult, entworfen und gefertigt von dem Sendenhorster Künstler Basilius Kleinhans, hat den Namen „Erinnerung“ und auf seiner Oberfläche ist das Geschehen, das sich 1945/46 im Landgestüt Warendorf ereignete, wiedergegeben.

 

 

Was bleibt? Ist es nur die Erinnerung an das Deutsche betreffende und mit Deutschen in Verbindung stehende Vertreibungsgeschehen u. ä. vor mehr als 75 Jahren.? Darf mit diesen Gedenkorten in Warendorf und Hilter und auch anderwärts mehr verbunden werden als nur Erinnerung, z. B. Hoffnung, das derartige Gedenkorte starke Zeichen sind und mit dazu beitragen, dass Flucht und Vertreibung einmal zu einem Ende kommen? Wohl kaum! Das aktuelle Geschehen in der Ukraine lehrt etwas anderes. Flucht und Vertreibung hat es schon immer gegeben und scheinen – weltweit gesehen – auf einen neuen Höhepunkt zuzusteuern – in Europa, in Afrika, in Asien und auch in Amerika. Der Menschheit scheinen Flucht und Vertreibung in die Wiege gelegt worden zu sein. Denken wir an die Vertreibung aus dem Paradies!

Der Neumarkter Verein e.V. Hameln sollte gemeinsam mit seinen Freunden in Stadt und Kreis Neumarkt Überlegungen nähertreten, ob nicht dort, wo der Abtransport der Heimatvertriebenen aus dem Kreis Neumarkt im Jahre 1946 begann – nämlich am Bahnhof Neumarkt-Stephansdorf (heute: Środa Śląska) – eine entsprechende Gedenktafel angebracht werden kann. Denn gerade heute, da Millionen von Flüchtlingen aus der Ukraine nach Polen – auch nach Niederschlesien – kommen und auf- und angenommen werden, darf das Vertreibungsgeschehen vor 77 Jahren aus Schlesien wie aus ganz Ostdeutschland nicht aus dem Blick geraten!

 

Dr. Bernhard Jungnitz (stellvertr. Vorsitzender des Neumarkter Vereins e.V. Hameln und Vorsitzender des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e.V.)

 

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